Ina Weber -- kommt runter
Die zweite Einzelschau Ina Webers in der Galerie Georg Kargl Fine Arts präsentiert
Alltagsgegenstand und profane Architektur in atypischer Gestalt. Die überwiegend im Jahr 2010
entstandenen Arbeiten reichen vom Aquarell in Mischtechnik über Keramik bis hin zur geräumigen,
begehbaren Skulptur.
Auch in den letzten Jahren haben Reisen auf die Arbeiten der Künstlerin eingewirkt. Genau gesagt,
setzt für Ina Weber künstlerisches Schaffen das Sammeln von persönlichen Eindrücken, von hier und
dort Gesehenem, fast schon voraus. Es ist ihre Leidenschaft für urbane Umgebung, in der das
Absurde nächst dem Zauber existieren kann. Nicht selten äußert sich das in den kleinen,
unaufdringlichen Dingen. Vornehmlich bereist sie Großstädte und Industriegebiete, in denen
scheinbare Belanglosigkeiten und das Aufeinandertreffen von Gegenwärtigem und Vergangenem
besondere Beachtung finden. Unentwegt fotografiert die Künstlerin dabei auch ihr Umfeld. Die
Aufnahmen werden zunächst in Beziehung mit Erinnerungsstücken gesetzt. Ina Weber hinterfragt,
zieht ihre Schlüsse, isoliert und verdichtet auf die Essenz, die ihr am Wichtigsten erscheint; es
entstehen Zeichnungen und Skulpturen, die irgendwo zwischen Rekonstruktion von Realität und
deren Neuerfindung stehen.
Ina Webers entschiedene Beobachtungen sind auch in der neuen Serie Müllsammler Shanghai
herauszulesen. Die Aquarelle entstanden infolge einer Gruppenausstellung in der chinesischen
Hafendstadt. Für die Künstlerin wird die kuriose Organisation der dort zum Alltag gehörenden
Müllsammler reizvolles Thema – nicht alleine, weil dies Fragen über Recycling und Nachhaltigkeit laut
werden lässt. Weiß man, dass Ina Weber leidenschaftlich gerne radfährt und ruft man sich ihre
unbändige Hingabe zum Sammeln ins Gedächtnis, erkennt man schnell, dass sie womöglich nicht nur
Unterschiedlichkeiten, sondern auch Gemeinsamkeiten für sich aufzuspüren versucht. Mit großer
Bedachtheit und in ihrer typischen Manier belebt sie die an sich menschenleeren Zeichnungen. Das
Gefühl von Unmittelbarkeit überkommt den Betrachter. Die Arbeiten zeigen uns den Menschen der
seinen Müll sammelt, sortiert und auf die Waagschale legt, um damit seinen Unterhalt zu bestreiten.
Ina Webers Bushaltestellen sind nicht nur begehbar, sie sollen auch erkundet werden. Eine Reihe
unkoventioneller Wartehäuschen in Brighton weckten ihr Interesse. Für die Künstlerin stellen sie eine
Art "umbaute Schlange" dar, in der sich architekturbedingt Wartende hintereinanderreihen, aber auch
eine Örtlichkeit in der so mancher vom Grübeln, Reflektieren, vielleicht auch Diskutieren gepackt wird.
Anders als in „massen- und industriell gefertigten Architekturen, die auf Anti-Vandalismus und
Fernhaltung von Obdachlosen“ zielen, sind diese Bauten für Ina Weber nicht eindimensional. Sie
bieten Platz für alles und jeden. Ihre zynisch-absurde Sichtweise ist auch in diesen Skulpturen bis ins
kleinste Detail eingeflochten: “kommt runter” und “bleibt kleben”, steht da. Die Künstlerin verweist
damit nicht nur auf die Kategorisierung unterschiedlicher Kunstformen – “Mosaike werden bislang als
high art, Graffiti wohl eher als low art angesehen”, erzählt sie – sondern lässt so auch den
mutmaßlichen Urheber des Schriftzugs sprechen. Der Betrachter kann darin Ausruf, Aufforderung
oder Statement für sich lesen: Bleibt kleben wie Dreck. Kommt, verweilt mit uns, bleibt mit uns kleben!
Zur Haltestelle come down schreibt Kiron Khosla: „Dieses Häuschen bzw. die Hütte [...] behaust die
Abtrünnigen. Es ist ein Ort der Leidenschaften: heimlicher Teenager-Sextreffpunkt, heißer, schwuler
Abschleppspot, und ein Platz zum Abhängen für [...] Nutten. Es ist ein Ort für anarcho-politische
Missionierung, denn das Mosaik an einer Wand lautet: Kommt runter! – eine Art axiomatischer
Imperativ, der fast alles bedeuten kann, vom Regt euch ab über Alles okay und Take it easy bis hin
zum Lasst uns alle Halte- und Tankstellen auseinandernehmen.” (Kiron Koshla, Zu Ina Webers Bus
Shelter, in: update – die Welt als Modell, Montagstiftung Bildende Kunst, Bonn, 2010, S. 82)
Der Titel zur Schau zielt nicht nur darauf ab, dass wir uns besinnen auf den Boden der Tatsachen
zurückzukommen oder Gelassenheit zu lernen, er fordert uns auf, unseren Blick nicht vor der
vermeintlichen, vielleicht manchmal irritierenden Trivialität des Lebens zu versperren. Ina Weber
möchte uns dazu bewegen auch einmal "woanders hinzuschauen".
Ina Webers Arbeiten sind und waren unter anderem im Skulpturenpark Köln (-2011), im Neuen
Giessener Kunstverein (2009), im Kunstverein Kassel (2008), in der Kunsthalle Nürnberg (2006) und
beim Braunschweig Parcours (2004) zu sehen.
Text: Doris Richter