Clegg & Guttmann -- Social Sculpture, Community Portraits and Spontaneous Operas 1990 – 2005
Die Ausstellung Social Sculpture, Community Portraits and Spontaneous Operas 1990 – 2005 bringt eine Reihe verschiedener Arbeiten zusammen, die Clegg & Guttmann in den Jahren 1990 bis 2005 als Projekte im öffentlichen Raum schufen. Alle ausgestellten Arbeiten nahmen als spezifische Projekte in situ ihren Ausgang. Sie wurden später neu organisiert und rekontextualisiert; auf dieser Basis entstanden neue Arbeiten. Jedes der Werke in der Ausstellung ist Ausdruck einer anderen Rekontextualisierungsstrategie; jedes steht in einem anderen Verhältnis zum ursprünglichen Projekt, aus dem es entstand.
Eine social sculpture (soziale Plastik) ist ein Kunstwerk, das verschiedene Institutionen, kulturelle Formen und Konzeptionsstrukturen – manche künstlerisch, andere nicht – einbindet und auf eine Art und Weise verbindet, die dem Betrachter die Möglichkeit bietet, über ihre Beziehungen zueinander nachzudenken. Eine soziale Plastik legt das Wesen der Kunstinstitutionen offen, indem sie sie mit anderen vergleicht und ihre Verortung im System untersucht. Dabei zeigt sich, welchen Stellenwert Kunst in dem sie umgebenden, größeren Rahmen einnimmt.
Community portraits (Gemeinschaftsporträts) sind Kunstgriffe, mit deren Hilfe Reaktionen in einer Gemeinschaft ausgelöst werden; diese werden dann umformuliert und die Daten in einer Form organisiert, die den einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft ein Nachdenken über die eigene Identität und die Geschichte dieser gesellschaftlichen Einheit ermöglichen soll.
Mit dem Begriff Spontaneous Opera (spontane Oper) werden Arbeiten im öffentlichen Raum aus der Kategorie Events beschrieben, die als Mechanismen dienen, um augenblicklich Selbstdarstellungsaktionen in der Gemeinschaft auszulösen. Die Gemeinschaft stellt sich in der spontanen Oper mit Liedern, Tanz, Reden und anderen performativen Verhaltensformen sich selbst vor, das Werk löst dieses Verhalten zunächst einmal in den Beteiligten aus und zeichnet es dann zu ihrem Nutzen auf.
Der Begriff Spontaneous Opera bezeichnet jene unserer Projekte, die wir in erster Linie als Events betrachten. Im Gegensatz dazu subsummiert der Begriff Social Sculpture Objekte im entsprechend erweiterten Sinn. Eine dritte Klassifizierung unserer Projekte ist die Einstufung als Community Portraits; in diesem Fall gelten sie als intendierte Aktionen, in denen es um Repräsentation geht. Viele unserer Projekte, vielleicht sogar die meisten, können je nach Kontext als Objekte, Aktionen oder Events betrachtet werden. Diese drei Begriffe stehen daher nicht für essenzielle Eigenschaften der Arbeit selbst, sondern für die verschiedenen Haltungen ihrer Produzenten oder Empfänger. Manche Projekte sind zeitlich oder räumlich genau abgegrenzt, andere wiederum lösen eine Kaskade von Events aus, die zeitgleich oder zeitversetzt stattfinden, an einem oder mehreren Schauplätzen. Bestimmte Projekte sind Rekontextualisierungen anderer, in einer der vielen Bedeutungen dieses Begriffs. Die folgende Liste enthält Beispiele für verschiedene Strategien der Rekontextualisierung.
In manchen Fällen, wenn das gesammelte Material für sich genommen von Interesse ist, sammeln wir es und stellen es als selbständige Arbeiten aus. Mit Hilfe einer geeigneten Hintergrundpräsentation wird das gesamte Material zu einem Ausgangsprojekt in einer Umgebung zusammengestellt, in der man es studieren kann. Auf diese Weise konzipierten wir etwa The Music Library of Unite d’Habitation, Firminy, eine Musikalienbibliothek, bestehend aus Stücken, die die Bewohner des Le Corbusier-Gebäudes zur Verfügung stellten, ausgestellt in einem speziellen Schrank. Das Gleiche gilt für Sha-at-nez, eine Installation, die auf einer dem Begriff der Vertreibung gewidmeten Bibliothek basiert, welche wir 2004 für das Freud-Museum aufbauten. In diese Kategorie fällt auch The Moebius Library, eine Arbeit, die ursprünglich als Präsentationsobjekt für das Waldzell-Seminar im Stift Melk geschaffen wurde. Eine andere Kategorie der Rekontextualisierung kommt dann zum Tragen, wenn das gleiche oder ein ähnliches Verfahren wie beim ursprünglichen Projekt angewendet wird und die neuen Ergebnisse mit den früheren kombiniert werden. Das gilt etwa für The Lost Letter. Die Arbeit ist Teil von Recontextualization of the Sick Soul, ein Projekt für eine Reihe von Orten, das wir Mitte der 1990er Jahre konzipierten. In diesem Fall griffen wir auf eine Möglichkeit zurück, die wir in Sick Soul I-IV vorgesehen, jedoch nie realisiert hatten.
The Seven Bridges of Königsberg ist eine Installation, für die wir Themen aus dem ursprünglichen Projekt auswählten; dabei handelte es sich um die Open Public Library, die im Jahr 1999 in Duisburg im Zusammenhang mit der Ausstellung Kant Park im Lehmbruck-Museum gezeigt wurde. Der Bibliotheksaufbau beruht auf einem Diagramm der sieben Brücken von Königsberg. Der Mathematiker Euler wies nach, dass man nicht an den Ausgangspunkt zurückkehren kann, indem man alle Brücken nur einmal ohne Wiederholung oder Auslassung überquert. Als Folge dessen können die Bücher in der Bibliothek, deren Struktur auf derselben graphischen Darstellung beruht, nicht alphabetisch von A bis Z gereiht werden, wenn alle Regale voll sind. Es handelt sich um eine Bibliothek, die sich der Ordnung widersetzt, sozusagen eine anarchistische Bibliothek. Auf Grundlage des ursprünglichen Projektes entwarfen wir eine neue Installation, die die mathematischen Eigenschaften des Aufbaus betont, auf Grund derer keine Ordnung möglich ist.
Die Arbeit The Open Public Library in Graz 1990-2005 bildet den Höhepunkt in der Entwicklung dieses Werks. Sie entstand aus dem Material zum ursprünglichen Projekt von 1991 sowie der Arbeit mit dem Titel The Recontextualization of the Open Public Library of Graz von 1993 und enthält Zusatzmaterialien mit Bezug zu beiden. Diese Arbeit zeigt, wie komplex der Mechanismus der Rekontextualisierung werden kann. Jedes Element der Arbeit ist gleichzeitig Teil einer sozialen Plastik, Aspekt eines Porträts und Rest eines zugrundeliegenden Events. Daraus wird das Projekt vor dem geistigen Auge des Betrachters kontinuierlich restrukturiert, von der Plastik zum Porträt, vom Porträt zur Oper und wieder zurück. Die Elemente der Installation sind nach drei verschiedenen Zeiträumen geschichtet und ihre Eigenschaften verschieben sich fließend zwischen den Dimensionen des Funktionalen, des Informativen und des Symbolischen hin und her.
Text: Clegg & Guttmann