Marcel van Eeden -- Letzte Reise nach Wien
Marcel van Eeden gilt als ein Mann mit Prinzipien: seit 1993 fertigt er tagtäglich eine neue Zeichnung an, die er seit 2001 auch ins Internet stellt und so ein Zeichnungstagebuch auf seiner Website entstehen lässt. Auf Streifzügen durch Antiquariate, Archive, Bibliotheken und Flohmärkte findet der Künstler die Bildmotive, die ihm für seine Zeichnungen als Vorlage dienen. Dass die Zeitungen, Bücher und Fotos - meist Schwarzweiß-Reproduktionen - ausschließlich aus der Zeit vor seinem Geburtstag am 22. November 1965 entstanden sein müssen, weist auf die intensive Beschäftigung van Eedens mit dem Tod und dem 'Nicht-Dasein' hin - alles kreist um die Zeit, bevor er geboren wurde. Nicht das Nicht-Mehr, sondern das Noch-Nicht steht im Zentrum seiner Bilder. Auf diese Weise sind Hunderte von kleinformatigen Werken entstanden, die nicht zuletzt durch den stets wiederkehrenden Schwarz- Weiß-Kontrast und durch ihr meist standardisiertes Format von 14 x 19 cm oder 19 x 28 cm eindrucksvoll die Vorgaben, die sich der Künstler selbst auferlegt hat, unterstreichen.
Während van Eeden zu Beginn seiner Karriere eher Einzelzeichnungen anfertigt, hat er sich in letzten Jahren auf Serien konzentriert, deren Bestandteile vor allem in ihrer Konstellation zueinander ihre Wirkung auf den Betrachter entfalten. Die Zeichnungen aus den Serien haben den Anschein, als wären sie die Illustrationen einer Erzählung, die teilweise auf geschichtlichen Fakten und teilweise auf Fiktion basierten. Die fast fotorealistische Darstellung der Bilder zeigen wie filmstills mit fesselnder Eindringlichkeit Menschen und Orte, die merkwürdig still stehen und doch jeden Moment in Bewegung kommen könnten. Indem er schwarze Kohlestifte benutzt, erreicht van Eeden auch die charakteristische Wirkung des chiaroscuro in seinen Werken.
In einer umfangreichen Zeichenserie wird das Leben des Botanikers K.M. Wiegand zu einer fiktiven ‚Hochstaplerbiografie’ (Johan Schloemann) verarbeitet - so verkörpert der Protagonist stellvertretend für den Betrachter eine Art 'Superhero' (van Eeden), den van Eedens Bilder durch die Welt begleiten. Ähnlich wie die Bilderfolgen 'Der Archäologe. Die Reisen des Oswald Sollmann', 'Celia' und 'Der Tod des Matheus Boryna' verbinden sich hier die Einzelbilder der Serie zu einem übergreifenden Ganzen. Ordnendes Prinzip scheint den ausgewählten Textpassagen, die auf den Bildern fortlaufend zu sehen sind, zuzukommen. Text und Bild werden vom niederländischen Künstler so kombiniert, dass der Text zwar mit den Motiven in Zusammenhang gebracht wird, diese aber keine Beziehung zum Textgeschehen zu haben scheinen. Die mit Schablonen übertragenen Texte zeigen durch ihre Anordnung - oft als Bildunterschrift oder als eine Art Sprechblase ins Bild integriert - ihre Nähe zum Comic. Für die Bilderreihe 'Celia' wurden unter anderem Passagen aus T.S. Eliots Cocktailparty (1949) und Robert Walsers Spaziergang (1917) verarbeitet, wobei der Auswahl an Texten wiederum das Prinzip zugrunde liegt, nichts nach 1965 Entstandenes zu verwenden.
In der Georg Kargl BOX gezeigten Serie ‚Letzte Reise nach Wien’ unternimmt K.M. Wiegand als Protagonist im November 1948 eine Reise mit dem Zug von Den Haag nach Wien. Wie bereits in der Serie ‚Witness for the prosecution’ - gezeigt im Heidelberger Kunstverein - kommt es auch in der Zeichenserie in der BOX zu einer Verquickung der verschiedenen Hauptakteure, diesmal mit Wien als düsterem Schauplatz. Warum Wiegand mit den früheren Hauptfiguren van Eedens, Matheus Boryna und Oswald Sollmann, in einem Kaffeehaus in Wien zusammentrifft, bleibt offen. Zeitlich greift dieses Zusammentreffen dem ‚Tod des Matheus Boryna’ voraus, bei dem vielleicht bereits die Weichen für spätere Verbrechen gestellt werden. Eine Atmosphäre von Spionage und Verrat hält den Betrachter der Bilder in Atem und lässt ihn weiterhin über die genauen Zusammenhänge der kriminellen Vorgänge im Unklaren. Fest steht nur, dass die Installation in der BOX rund 40 Zeichnungen, einem Video, in dem das visuelle Vorbild van Eedens für die Figur K.M. Wiegands zu Wort kommt, und einem nachgestalteten Zug in enger Verbindung mit einer neuen Serie rund um Boryna, Sollmann und Wiegand steht. Fortsetzung folgt.