Liddy Scheffknecht -- points in time

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points in time, Ausstellungsansicht, 2018

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points in time, Ausstellungsansicht, 2018

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Liddy Scheffknecht, Bubblegum, 2011, acrylic on glass, 10cm

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Liddy Scheffknecht, Bubblegum, 2011, acrylic on glass, 4cm

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Liddy Scheffknecht, Bubblegum, 2011, acrylic on glass, 3cm

Liddy Scheffknecht
points in time
23/11/2018 - 19/01/2019

Zeit ist ein seltsames Konstrukt. In der subjektiven Wahrnehmung gibt sie sich unberechenbar. Mal zerrinnt sie einem wie feiner Sand zwischen den Fingern, dann wieder wirkt es, als würde die Zeit stecken bleiben, stillstehen. Die Vorstellung von einer „absoluten, wahren und mathematischen Zeit”, wie sie Isaac Newton Ende des 17. Jahrhunderts formulierte, einer Zeit, „die an sich und ihrer Natur nach gleichmäßig, ohne Beziehung auf äußere Gegenstände“ fließe, erscheint einem wie Hohn, wenn die Sekunden, die Minuten, die Stunden, die Tage nicht vergehen mögen – einfach weil nichts passiert, an das es sich zu erinnern lohnte.

Um Zeit messen, um sie überhaupt wahrnehmen zu können, braucht es etwas, das sich verändert, etwas, das sich bewegt, kontinuierlich am besten, stetig wie der Zeiger auf dem Ziffernblatt. Oder – wie die Sonne von der sie umkreisenden Erde aus betrachtet.

Letztere hat Liddy Scheffknecht (*1980 in Dornbirn) zu ihrer Komplizin gemacht. Sie spannt sie für sich ein, erkundet mit ihrer Hilfe Möglichkeiten, den Lauf der Dinge, Zeitlichkeit als solche zu visualisieren. Formal betrachtet zeigt die Künstlerin in ihrer aktuellen Ausstellung in der Georg Kargl Box neue Arbeiten auf Papier und frühere Skulpturen aus Glas. Gemein ist allen, dass sie in ihnen – quasifotografisch – Momente festzuhalten versucht, „points in time“, wie auch der Titel der Ausstellung lautet. Scheffknecht isoliert Augenblicke, verwandelt flüchtige Zustände in statische Bilder.

Bei „now“ (2018) sowie „9 to 5“ (2018) handelt es sich um Wachskreidezeichnungen für deren Anfertigung die Künstlerin eine bemerkenswerte Methode anwendete: Sie brachte Papierbögen auf dem Fenster an, auf denen sie zuvor die Wörter „now“, „9 am“ beziehungsweise „5 pm“ ausgeschnitten hatte. Je nach Sonnenstand fiel das Licht durch diese Lücken in unterschiedlichen Winkeln auf Scheffknechts Zeichengrund, ein mit schwarzer Wachskreide überzogenes Papier. Im Falle von „now“ kratzte die Künstlerin während eines Tages im Abstand von je zehn Minuten die Umrisse dieser Lichtprojektion in die Wachskreidenoberfläche, sodass sich eine Linienzeichnung sich überlagernder Buchstaben ergab. Bei „9 to 5“ ging sie gleichermaßen akribisch vor, hielt über eine Periode im Sommer hinweg jeden Morgen zur entsprechenden Uhrzeit das „9 am“, jeden Nachmittag das „5 pm“ auf dem Papier fest. Interessanterweise erinnern die weißen Zeichnungen auf schwarzem Grund bei flüchtiger Betrachtung an Sternbilder äonenalter Himmelskörper. Auf diese Weise scheinen in den Arbeiten Vorstellungen von Vergänglichkeit mit solchen von Unendlichkeit zu verschmelzen.

Entziffern lassen sich die Begriffe jeweils nur bei genauem Hinsehen, was deren Bedeutung in den Fokus rückt: „Jetzt“ als Inbegriff des Moments, der schon vergangen ist, wenn man sich seiner bewusst wird; „9 to 5“ als Grundsatz des traditionellen Werktags, der in der schönen neuen Arbeitswelt, in der Flexibilität als Kernkompetenz gilt, ausgedient hat – in Österreich, seit im September die Novelle des Arbeitszeitgesetzes den Zwölf-Stunden-Arbeitstages legalisierte, sogar ganz offiziell. Scheffknecht rekurriert auf eine auf Effizienz und Markttauglichkeit ausgerichtete zeitgenössische Weltsicht, in der keine Ressource knapper ist als Zeit.

Als spielerischen Kontrapunkt dazu lassen sich Scheffknechts „Bubblegums“ (2010) verstehen: Die aus Glas nachgeformten Kaugummiblasen dehnen einen kleinen Moment ins Unendliche aus, allerdings weist dieser einen gänzlich anderen Charakter auf. Scheffknecht behält den Augenblick, wenn sich die Blase, prall mit Luft gefüllt, kurz vor dem Zerplatzen befindet, einen Moment des puren kindlich-unbekümmerten, völlig sinnbefreiten Vergnügens, der vielleicht genau deshalb so schön ist, weil er gleich schon wieder vorbei ist.

Text: Beate Scheder