Thomas Locher --
Seit Ende der 80er Jahre kreist Thomas Lochers Schaffen um Sprache und Kommunikation, um Gesellschaft und menschliches Handeln. In seinen Text-Bildern veranschaulicht er die Funktionsweise und das Regelwerk der Sprache, des Hauptmediums von Kommunikation, und untersucht die Strukturen von Macht, Autorität und Hierarchie, die ihr innewohnen. Als bildender Künstler befasst er sich zugleich mit dem Phänomen der Wahrnehmung, mit der Tatsache, dass Wahrnehmung ohne Begriffe nicht möglich ist und Verstehen von Bildern immer auf Sprache beruht. Dabei setzt er sich kritisch mit seinen künstlerischen Vorgängern auseinander: Während die Konzeptkunst der 70er Jahre eindeutige Verknüpfungen von Bild und Begriff im Sinne strikter Definition vornahm, versteht Thomas Locher Sprache als vieldeutig und letztlich unerforschlich.
Nährboden für seine Werke ist das weite Feld der Theorien, welche die Kommunikation und das menschliche Zusammenleben und Handeln analysieren: Linguistik, Semiotik, Sprachphilosophie, Kommunikations-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Systemtheorie, Psychologie, Psychoanalyse, Gender-Studies, Werbe- und Medienwissenschaften. Seiner künstlerischen Haltung entsprechen all jene Methoden, die Systeme kritisch hinterfragen, implizite Strukturen sichtbar machen und in der Norm das Andersartige, in der Regel die Schwachstellen aufspüren.
Bespricht man Thomas Lochers Werke, die von Sender, Empfänger, Botschaft, Code und Kontext handeln, ist man verführt, der Begrifflichkeit dieser Wissenschaften und Theorien zu folgen. Doch stellen seine Arbeiten keine sprachwissenschaftlichen Forschungen, keine ins Bild gesetzten Theorien dar. Sie stehen als Kunstwerke, als ästhetische Einheiten für sich. Ihre konsequente Gestaltung – auf den ersten Blick nüchtern, spröde, auf den zweiten von Humor durchsetzt – lässt uns Thomas Lochers Überlegungen auch ohne Rückbezug auf Theorien folgen. Er selbst versteht seine Werke als „gescheite Bilder, die man aber trotzdem noch genießen kann“. […]
Thomas Lochers Beschäftigung mit Bedeutungssystemen erstreckt sich aber auch auf ihre Inhalte, besonders auf die politischen Implikationen und die praktischen Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit von Gruppen und Individuen – insgesamt scheint seine Arbeit weniger sprachwissenschaftlich denn soziologisch motiviert. Prägnanten Ausdruck findet dies in seinen Werken zu nationalen und internationalen Gesetzestexten wie Notstandsgesetzgebung und in den vier Werken Human Rights. Die Texte sind zwar abstrakt formuliert, als Grundregeln einer Gemeinschaft können sie jedoch das Leben von Menschen verändern und tun es in der Praxis auch ständig. Thomas Locher stellt ihnen in Umgangsprache formulierte Fragen und Kommentare zur Seite und zieht so ihre Eindeutigkeit und Autorität in Zweifel.
Auch Politics of Communication ist von Machtgefügen geprägt. Hierarchien der Arbeit macht Thomas Locher anschaulich über Fotografien von Büroräumen: Stuhlklassiker stehen billigen Serienproduken gegenüber, ausladende Schreibtische kontrastieren mit identischen, in Reihe gestellten Arbeitsplätzen. […]
Eindeutige Aussagen, Definitionen, Gesetzestexte erheben Anspruch auf Gültigkeit […], und der Sender nimmt für sich in Anspruch, die Autorität darzustellen, die sich für diese Gültigkeit verbürgt. Aber: Eine Sache „begreifen heißt, sie perspektivisch zu sehen, von vielen Seiten her. Das heißt, möglichst viele Plätze einzunehmen, von denen aus eine Sache gesehen werden soll. Das heißt auch, den Platz einzunehmen, der der Platz des anderen ist“ (Locher). Wie Thomas Lochers Arbeiten zu Gesetzestexten ist Politics of Communication in der Aussage wie in der formalen Struktur nicht auf Eindeutigkeit, sondern auf eine Pluralität angelegt, die auf gesellschaftlicher Ebene Pluralismus meint.
Karin Schick, „Politics of Communication“, in: Johann-Karl Schmidt (Hg.), Politics of Communication, Fragmente der Notstandgesetzgebung, Knoten und Linien/Knots and Lines, Human Rights/The New Subject: The Refugee, Ostfildern 2003, o. S.
* Anmerkung der Redaktion: Bei Georg Kargl präsentierte Thomas Locher Politics of Communication direkt auf von den BesucherInnen „bearbeiteten“ Aluverkleidungen von Rudolf Stingel aus der vorhergehenden Ausstellung.