Gerwald Rockenschaub --
Als Roland Barthes in den 50er Jahren die „Mythen des Alltags“ untersuchte, war das Ergebnis überraschend. Alles, was bei der Interpretation von Zeichen mit den Unschärfen der Bedeutung spielt, konnte für ihn mythisch erscheinen, weil „der Mythos kein Objekt, kein Begriff oder eine Idee sein kann; er ist eine Weise des Bedeutens, eine Form“.(1) Insofern ist es der gesellschaftliche Diskurs, durch den sich eine Aussage für Barthes zum Mythos auswächst: […] die Durchschlagkraft der Images beruht auf der Konstruktion von Zeichen, die sich dem Betrachter nicht zu erkennen gibt. Dieses Denken ist auch dem Triumph einer Popkultur geschuldet, in der sich die Unterschiede zwischen „high“ und „low“ als gleichwertige, weil visuelle Codes aufheben. Geändert hat sich an diesem Grundverständnis bis heute nur wenig: Noch die „Love Parade“ lebt als Ereignis von den Bildern, die sie produziert und deren massenhafte Verbreitung sie zugleich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt. […]
Was bei Rockenschaub von der Clubkultur im Kunstkontext übrig bleibt, sind vor allem extrem reduzierte Zeichen. […] Am Computer entwickelt er per Malprogramm abstrakte Motive, die als Datensatz eingelesen, mehrfarbig ausgestanzt und als plane Fläche auf Alucore aufgezogen werden. Was als Bild erscheint, beruht nicht länger auf Farbe als ursprünglichem Material, sondern ist bereits industriell vorfabriziert. Damit verschwinden stärker noch als bei seinen früheren Siebdrucken sämtliche handwerklichen Spuren: Das Bild ist Ausdruck einer visuellen Kultur, die sich nicht mehr unabhängig von elektronischen Kommunikationstechnologien und den entsprechenden Apparaten gestalten lässt. Das Medium Malerei ist sich selbst Code genug.
Aus diesem Kontext stammen auch die Motive: Logos zwischen Halbleiter und Playstation, abstrakte Module aus Wissenschaft und Unterhaltung. Selbst die Bildsprache des Clublebens wird auf das technische Mobiliar begrenzt: Plattenspieler, Mischpult, Lautsprecherboxen. „Das Spiel funktioniert innerhalb der technischen Grenzen. Man muss sich auf die Apparatur einlassen. Es geht nicht mehr nur darum, wie man Farben benutzt, man muss überhaupt schneller Entscheidungen treffen“, so Rockenschaub über sein Verhältnis zum Computer im Umgang mit Bildproduktion.(2) Dabei arbeitet der Künstler Rockenschaub kaum anders als bei seinen elektronischen Tracks für das Label definitely something: „Wenn mir etwas einfällt, schreibe ich das in mein Sequencing-Programm, und wenn es mir nicht gefällt, korrigiere ich es oder lösche es wieder. Es hat immer mit den Produktionsbedingungen zu tun, die bestimmte Konsequenzen haben und dadurch ein bestimmtes Bewusstsein kreieren.“(3) […]
(1) Roland Barthes, Die Mythen des Alltags, Frankfurt/M. 1964, S. 85
(2) Gerwald Rockenschaub im Interview mit Jan Winkelmann, Hamburg, 13.02.1997
(3) Ebd.
Harald Fricke, „Malerei ohne Mythos. Zwischen Halbleiter und Playstation: Über die neuen Arbeiten von Gerwald Rockenschaub“, in: Katalog Gerwald Rockenschaub 1999, Georg Kargl Fine Arts, Wien 1999, o. S.