Elizabeth Peyton --
[…] „Ich lese den Melody Maker wie Marcel Proust“, beschreibt die junge amerikanische Malerin Elizabeth Peyton einen binären Schematismus ihrer Arbeit. […] „High and low“ ereignen sich im selben Moment, die Artefakte entsprechen dem Geschmack der Leser von Popmusik-Fanzines z. B. genauso wie dem Anspruch des „Kunstkenners“. Von der Pop-Art aber unterscheiden sich Peytons Werke durch ihr hohes Maß an Emotionalität. […] Elizabeth Peyton treibt genau diese Doppelstrategie gekonnt auf die (Pinsel-)Spitze: Zeitungsfotos von Jarvis Cocker, dem Sänger der Brit-Pop-Band Pulp, arrangiert sie malerisch im wohl temperierten Farbglanz zu ihrem intimen Porträt Jarvis um, und Künstlerkollege Piotr Uklanski steht der Malerin im roten Hemd, Marke „bad taste“, Porträt. „High and low“ sind hier genauso gleichberechtigt wie medial oder „face to face“ erfolgte Bekanntschaft – eine Auf- oder Abwertung findet in keiner Weise mehr statt. Auch historische Figuren wie Ludwig van Beethoven oder Napoleons Geliebte Mademoiselle George verewigt die Künstlerin in ihrer „Ahnengalerie“. Peyton weiß: Die Geschichte der vergötterten Stars ist älter als die von Hollywood […].
Peyton identifiziert sich in ihrer malerischen Interpretation so sehr, dass sie sich mit ihren „Idolen“ in einen geschlossenen Zirkel begibt: auf formaler Ebene dadurch, dass sie meist Bilder von Bildern anfertigt, auf inhaltlicher Ebene dadurch, dass ihre und die visionäre Suche des Abgebildeten kurzgeschlossen werden. So werden öffentliche Ikonen gleichsam privatisiert, indem selbst ausgewählte Teile unserer alten und neuen Medienrealität aktiv als semantische Felder interpretiert werden. Resemantisiert gewinnen sie dann eine „individuelle“ utopische Qualität. Peytons Porträts sind also immer auch Selbstporträts – ein weiterer binärer Code ihrer Arbeit. Dank ihm bricht Peyton wie selbstverständlich aus einer sich selbst genügenden […], autistischen Welt aus. […]
Dass visionäre Welten, und dazu zählt eben zuweilen auch das Betriebssystem Kunst, selbstreferenzielle und geschlossene(1) Systeme sind, ist u. a. ein Resultat der grenzenlosen Vermarktungsstrategien des Kapitals – so ist Popmusik, genau wie die Kunst, immer Teil des Marktes, aber auch sein Widerspruch, sie ist Affirmation und Utopie zugleich. Nur im „local“ (J. Fiske), im „inner circle“ des (privaten) Lebensraumes jedoch scheint die Utopie sich noch für kurze Momente zu erfüllen. Wie auch dieses Idyll, das sich zudem oft nur noch als negatives, als zynisches No-Fun-Paradies darstellt, von kommerzieller Vermarktung und repressivem Druck von außen bedroht ist, kann dem Leben des von Peyton ebenfalls porträtierten Kurt Cobain abgelesen werden: Der Sänger der Grunge-Band Nirvana beging 1994 im Teufelskreis von Ruhm und Desillusionierung Selbstmord. […] Dieser Dualismus von „death and glory“, von latenter Traurigkeit und aufflammender Hoffnung gibt den meisten der Gemälde von Elizabeth Peyton ihr typisches Gesicht. […] Stets also holt sie problematische Charaktere mit Vision vor ihr interpretierendes Auge: den Galeristen, den Popsänger, den jungen Thronfolger, den bildenden Künstler. […]
(1) Die legendäre „Persönlichkeit“ wird von jeher als geschlossenes System beschrieben: So seien Genies in der Regel einsam, unverstanden und auch nicht nach Verständnis verlangend, sind sich selbst genug, kurz: in sich ein Universum.
Raimar Stange, „A Star Was Born. Zu den Porträts von Elizabeth Peyton“, in: Kunstbulletin (November 1996), S. 18 -23.