Liddy Scheffknecht --
Bewegter Stillstand
Mediale Hybride von Liddy Scheffknecht
Walter Moser
Stillstand und Bewegung sind zwei Charakteristika, die in Bezug auf Fotografie zumeist als Widersprüche gehandelt werden. Als Schnitt durch Raum und Zeit fixiert das fotografische Medium nicht nur einen Augenblick, sondern setzt diesen auch statisch und dauernd in ein Bild. Fotografie „balsamiert die Zeit ein“, lautet dementsprechend die bis heute wohl berühmteste Beschreibung dieses Phänomens, mit welcher André Bazin ihren Unterschied zu einem anderen Medium verstanden wissen wollte: dem Film. So geht das filmische Medium bekanntlich insofern über die Fotografie hinaus, als es dieser jene Elemente hinzufügt, die ihre Grenzen definieren: die Darstellung eines zeitlichen Ablaufes durch Bewegung.
Auf den ersten Blick entspricht Liddy Scheffknechts Werk 7 minutes 13 seconds klar fotografischen Charakteristika: Statisch, immobil und „dauernd“ in Szene gesetzt hantiert ein Fotograf vor einer Hauswand an dem Auslöser einer auf einem Stativ angebrachten Stereokamera. Das Foto stammt hierbei nicht von der Künstlerin selbst, sondern ist das Bildprodukt eine/s/r anonymen Fotograf/en/in, das von Scheffknecht appropriiert, vergrößert und neu kontextualisiert wurde. Die diskursive Strategie medialer Aneignung dient der Visualisierung der genannten Unterschiede zwischen Fotografie und Film. Dies wird konkret durch ein elementares Bildmotiv sichtbar: Auf das Foto wird präzise das Video eines Schattens projiziert, dessen Referent scheinbar der abgelichtete Fotograf ist. Der Schatten weist hierbei ein wichtiges Charakteristikum auf, das über das fotografische Medium hinausgeht:
Bewegung. Langsam wandert er über das Bild und visualisiert durch die Veränderung seiner Form nicht nur einen zeitlichen Ablauf, sondern vermengt Fotografie und Film. Mit eben dieser Überlagerung zweier Bildebenen generiert Scheffknecht einen medialen Hybriden, wobei die Grenzen der beiden Medien ebenso durchbrochen wie transparent visualisiert werden. Die Semantik des Bildes muss dementsprechend in der Differenz zwischen den beiden Medien gesucht werden.
Dieses komplexe Verhältnis wird auf ähnliche Weise in Scheffknechts Fotoserie 6 minutes 38 seconds thematisiert. Die mehrteilige Fotoserie zeigt einen Radrennfahrer, dessen dynamische Bewegung über das verschwommen abgelichtete Publikum suggeriert wird, während er selbst scharf und statuarisch in der Bildmitte „gefroren“ scheint. Die zeitlich punktuelle Aufnahme des Radfahrers, die im Bruchteil einer Sekunde einem Bewegungsablauf entrissen und im Foto fixiert wurde, wiederholt sich in allen Fotos der Serie. Die Bildserie, eigentlich bekanntes Stilmittel, um über eine Abfolge von Bildern zeitliche Veränderung und damit (filmische) Bewegung zu suggerieren, gestaltet sich dementsprechend ambivalent. Nicht der Radrennfahrer verändert seine Position, sondern das scheinbar sekundäre Bildmotiv des Schlagschattens. Im Gegensatz zum Abbild des Sportlers lässt sich dieser in jedem der Bilder in einer anderen Gestalt wiederfinden und evoziert damit fortlaufende Bewegung. Der Kontrast zwischen der Statik und der veränderten Form des Schattens verdeutlicht einen „Bruch“ bzw. eine „Differenz“ zwischen zwei Bildebenen, die wiederum einen medialen Hybriden aus Foto und Film erzeugt. Über diesen rein medientheoretischen Aspekt hinaus lässt sich hiermit auch der Schatten als elementares Stilmittel definieren, was pointiert auch von der bereits zuvor genannten Film/Foto Arbeit 7 minutes 13 seconds veranschaulicht wird.
Die Dialektik von Statik und Bewegung wird in der Videoprojektion auf Fotografie speziell durch die Loslösung des Schattens von seinem Referenten bzw. dem Fotografen unterstrichen. Seine kontinuierliche Formveränderung scheint auf den ersten Blick nicht nur „Abdruck“ bzw. Resultat der Gestalt des Fotografen zu sein, sondern suggeriert auch eine nicht sichtbare Lichtquelle. Dies erweist sich erst bei näherer Betrachtung als Täuschung. So lässt sich die Gestalt des Schattens nicht als schlüssige visuelle Transformation erklären, vielmehr trennt sich der Schatten aufgrund seiner eigenständigen Form aus der Kausalität von seinem Referenten und tritt damit als unabhängiger „Doppelgänger“ auf. Als einzig bewegtes Element dominiert er so die statischen Elemente und löst sich aus dem narrativen Zusammenhang.
Die „Wirklichkeitsnähe“ der Fotografie sowie der zuerst logisch anmutende Verlauf des Schattens, der letztendlich jedoch nicht schlüssig auf den Fotografen rückgeführt werden kann, lässt Scheffknechts Werk ins Unheimlich-Surreale umschlagen.
Wenn nun abschließend in Scheffknechts Bild eine Silhouette erscheint, die im Foto selbst keine Referenz mehr besitzt, inkludiert sie eine weitere Instanz, auf die sich auch die Kamera des abgelichteten Fotografen richtet: den/die Betrachter/in. Als wahrnehmende Instanz ist er/sie damit tatsächlich ins Bild eingeschriebener Mittelpunkt zwischen Vorbild und Abbild, Reproduktion und Konstruktion, genauso wie zwischen fotografischer „Wirklichkeit“ und filmischer Reinszenierung.