Miklós Erdély und die Indigo Gruppe -- Fotoarbeiten aus den 70er und 80er

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Miklós Erdély und die Indigo Gruppe
Fotoarbeiten aus den 70er und 80er
02/07/2008 - 23/08/2008

Miklós Erdély (1928–86), Architekt, Künstler, Schriftsteller, Poet, Theoretiker, Filmemacher war ein wichtiger Katalysator der inoffiziellen ungarischen Kunstszene während der 1960er, 70er und frühen 80er Jahre.

Gefeiert als „der Vater der neuen ungarischen Avantgarde“ war Erdély eine charismatische Persönlichkeit, immer provokativ und irritierend, besonders gegenüber Autoritäten. Von 1975 bis zu seinem Tod leitete er drei konzeptionelle und methodische Kunststudiengänge: Kreative Übungen (1975-76 gemeinsam mit Dóra Maurer und György Galátani), Fantasiebildende Übungen (FAFEJ) und interdisziplinäres Denken (Indigo). Als experimentelle Lehrstudios oder Workshops konzipiert, bezogen sie sich auf avantgardistische künstlerische Prozesse, neue Theorien der Kreativität und pädagogische Methoden die von östlich philosophischen Traditionen beeinflusst waren. In seinem eigenen Anspruch hat sich Erdély zum Ziel gemacht mit seinen kunstpädagogischen Aktivitäten „ein Milieu zu schaffen das auch der Mühe wert ist überhaupt zu arbeiten“. Er betrachtete seine Studenten als die geeignetsten Kritiker seiner Arbeit.

Die Indigo Gruppe entwickelte sich aus dem dritten Kurs, den Erdély von 1978 an geleitet hat. Der Name interdisziplinäres Denken bezieht sich, wie Erdély es ausdrückt, auf den Fakt, dass sie „die viel versprechende Idee an der Grenze zwischen zwei Kulturen – Wissenschaft und Kunst – nicht aufgaben“. Sie waren an den Fragen über die Funktionen und Möglichkeiten der Kunst interessiert und verstanden diese auch als untrennbar vom kreativen Denken in der Gesellschaft als auch des Lebens.

Die Indigo Gruppe organisierte zwischen 1978 und 1986 mehrere thematische Ausstellungen und Gruppenaktionen, die sich entweder auf ein künstlerisches Medium konzentrierten (Kohle und Kohlezeichnung, Sand und seine Formen der Bewegung, Malerei, Avantgarde oder Experimenteller Film, Wasserfarben, Papierarbeiten, den einjährigen Zeichenkurs am Museum der schönen Künste, 1982-1983), oder ein abstraktes Konzept (Gewicht, Vertrauen/Loyalität, des Künstlers Exit, die poetische Avantgarde), oder um andere persönliche Erfahrungen und Aktivitäten (Meine schönste Sommererinnerung, Biografie, Tischaktionen). Neben den sozialpolitischen Manifestationen ist es auch wichtig den Indigo Friedensaufruf, die Gründungsurkunde der freiwilligen gesetzgebenden Körperschaft (1982) und die Pax Aktion (1983) herauszuheben. In der Anfangszeit betrachteten sie ihre Präsentationen als gemeinsames Arbeiten: ein Thema wurde ausgewählt, eine enorme Anzahl individueller Ideen wurden dazu angesammelt und während des Arbeitsprozesses modifiziert, sodass unmöglich war nachzuvollziehen, wer was zur finalen Version beigetragen hatte. Von ca. 1980 an, waren es jedoch in erster Linie Arbeiten einzelner Künstler die bei Gruppenausstellungen gezeigt wurden.

Unter diesen war im März 1984 die Ausstellung Das Persönliche und das Heilige, die von den Gedanken von Simone Weill’s Essay La Personne et le Sacré inspiriert waren. Simone Weill war eine Schriftstellerin jüdischer Herkunft, die die Welt als ganzheitlich wahrnahm und sich gegen die Unterteilung des Wissens in unterschiedliche Studienzweige aussprach. Laut Weill betrachten die Menschen Kunst und Religion als verschiedene Territorien da sie außerstande sind, an eine zusammenhängende Weltordnung zu glauben. Sie glaubte an eine Zugänglichkeit zu einem höheren, mystischen Wissen, das durch Einheit und Universalität charakterisiert ist. „In der Wissenschaft ist die Wahrheit heilig. In der Kunst ist die Schönheit heilig. Schönheit und Kunst sind immer unpersönlich. [...] Was heilig ist, ist auf keinen Fall unsere Persönlichkeit, im Gegenteil, es ist was unpersönlich ist in unserem Menschsein. Alles unpersönliche im Menschen ist heilig. Und das alleine ist heilig,“ schreibt sie. Mitglieder der Indigo Gruppe produzierten fotographische Arbeiten, die sich mit dem Subjekt der Ausstellung Das Persönliche und das Heilige auseinandersetzt, eine großer Teil davon wurde in der Erdély Stiftung erhalten und eine Auswahl davon ist in der Ausstellung in der Georg Kargl BOX zu sehen.

Die Ausstellungsmethode der fotografischen Arbeiten folgt der ursprünglichen Installation, die von der Gruppe als Ganzes 1984 festgelegt wurde: jedes Foto wurde einheitlich unter einem 70 x 100 cm Glas platziert und die Künstler platzierten ihre „persönlichen“ Fußmatten unter manchen der einzelnen Werke.

Erzsébet Amburs
zeigte Fotografien die sie auf dem Kopf stehend geschossen hat, mit dem Titel Everything is Upside-Down. Balint Bori nimmt Bezug auf die Heiligkeit des Nichts mit drei aneinander geklebten Fotografieteilen, einem schwarzen, einem grauen und einem weißen Teil. Das Foto von András Böröcz portraitiert den Spiegel und die Objekte auf dem Regal davor und neben dem Spiegel ist auf einer Fliese ein tanzendes Pärchen aufgemalt: er und seine damalige Liebste. Mária Czakó stellt ein Familienenfoto das eine Aufnahme von ihrem Mann, András Böröcz und ihrem Sohn, Menyus neben einer Zeichnung der Figuren, auf denen sie die Konturen der Fotografie mit roter Farbe nachgezeichnet hat. Dániel Erdélys Foto auf dem eine Plastikschüssel voller Essen und eine Stück Brot zu sehen sind, nimmt Bezug auf die Heiligkeit des Essens und Alltagslebens. Unter der Arbeit zeigt er durch das symmetrische Platzieren zweier Brotscheiben, die an zwei Schuhsohlen erinnern, die Notwendigkeit des täglichen Brots für das Leben als einen „Eintritt“ ins alltägliche Leben. Miklós Erdély’s gezeigte Arbeit war eine Collage aus Papier, Bitumen, Indigo Papier, einer ausgeschnittenen Zeitung, einem Foto und einem Airbrush-Print, der mit Simone Weill’s Text Das Persönliche und das Heilige in Verbindung gebracht werden kann, das sich mit dem Sakralen als dem Unpersönlichen im Menschen Bestehende beschäftigt: „Es gibt etwas das tief im Herzen der Menschen von frühester Kindheit, von der Wiege bis zum Sarg lebt, das, trotz jeder begangenen und erlittenen Sünde, jeder schlecht gemachte Erfahrung und Reuelosigkeit, erwartet unausweichlich, dass etwas gutes getan wird und nicht etwas schlechtes. Und es ist dieses Etwas, das darüber hinaus in jeder Person geheiligt ist.“

Erdély platzierte drei bildliche Darstellungen mit Abstand voneinander auf einem weißen Blatt Papier, den größten Teil mit einem dunkelfarbigen Material abgedeckt. Ein Zeitungsausschnitt ist in dünnes, braunes Bitumen eingebettet entlang der oberen Kante der Arbeit, in der er einen kleineren und eine größeren Teil unbedeckt lässt. Auf der linken Seite erscheint der Schriftzug „der Messias erscheint“ und rechts daneben ist ein bebildeter Nachrichtenartikel erkennbar mit dem Titel „The Absolution of Ali Agca“. In der Fotografie ist „der Papst und sein verhinderter Attentäter“ zu sehen, während der Text im freien Feld um das Foto ist wie folgt: „Johannes Paul II. traf Ali Agca, der am 13. Mai 1981 versuchte den Heiligen Vater zu ermorden, unter vier Augen. Gestern Morgen in Rom fand das Treffen in der Zelle des türkischen Terroristen statt. Der Papst kam alleine in die Zelle. Er umarmte den Verurteilten und vergab ihm. Die zwei Männer sprachen 20 Minuten leise miteinander. Mit den verstreichenden Minuten näherte sich Ali Agca dem Papst immer mehr. Sie sprachen im Flüsterton. Höchstwahrscheinlich erzählte er die Wahrheit über die Attacke auf dem St-Peter-Platz. Gegen Ende der Konversation, die ein Geständnis zu sein schien, sagte Johannes Paul II. „[...] Was wir diskutiert haben, wird das Geheimnis von uns beiden bleiben. Ali Agca ist ein Bruder, dem ich vergeben habe und er hat mein volles Vertrauen.“ Bevor Ali Agca in seiner Zelle allein gelassen wurde, kniete er vor dem Heiligen Vater und küsste seine beiden Hände. Auf einer von ihnen ist der Angriff immer noch zu sehen...“ Erdély betont den hervorgehobenen Teil des Textes im Zeitungsausschnitt in lila. Jenseits des Bereiches von Bitumen gibt es einen von Kinderhand gemachten Druck auf der rechten Seite, dessen Unterkante den Großteil des Kunstwerks füllt, und an ein dunkelblaues Blatt Indigo-Papier, das in acht Teile gefaltet war, die Falzspuren immer noch sichtbar, grenzt. Erdély hat ein altes Familienfoto in die untere rechte Ecke des Indigopapiers platziert mit folgender erklärender Beschriftung: „Ich tanze den Czardas mit meiner Großmutter 1937.“ Seit 1977 begann Erdély in vielen seiner Arbeiten Indigo-Papier zu verwenden und es war um diese Zeit, dass er seine Indigo-Zeichen-Technik formte bei der Benutzung von Indigo- oder Kopierpapier in Verbindung mit dem Möbius-Band, wobei die „Original“-Zeichnung und ihre Kopie auf genau der gleichen Oberfläche aufgebracht sind.

Im Ungarischen korrespondiert die Bezeichnung für Indigo- oder Kopierpapier mit der Indigo- Gruppe und obwohl dies ein zufälliges Ergebnis sein könnte, könnte diese Technik des „Kopierens“ oder „Reproduzierens“ auch als Metapher für seine „Lehrtechnik“ stehen. Das primäre Motiv von Zoltan Lábas 16-teiliger Fotoserien war der auf eine Wand projizierte Schatten, von einer aus Papier geschnittenen und aufgehängten Zahl (wenn auch nicht sichtbar in den Bildern): die sechs und die sieben. Tivadar Nemesis vierteilige Fotoserie stellt den Künstler selbst dar beim Ausüben einer Art magischer Aktivität, die eine Art Performance wie auch schamanistische Zeremonie sein könnte. László Révész zeigt ein gefundenes Foto, in welchem Objekte zu sehen sind- eine Waage, eine Kaffeemühle, ein Sprachenbuch und ein Wecker- die in der Wohnung von Révész Großmutter zu finden waren. János Sugárs Fotografie porträtiert zwei grelle Scheinwerfer, die einander zugewandt auf Füßen montiert und mit zwei menschlichen Figuren aus Stangen verglichen wurden. Das Bild erscheint auf der verstärkten Oberseite mit leichtem Blick von unten, was der Akzentuierung der persönlichen Perspektive diente. In János Szirtes Arbeit, Unser Heim ist die Erde tituliert, sind 16 Fotos seitlich aneinander auf die obere Hälfte eines weißen Kartonblattes geklebt und umschließen ein 4 x 4 Gerüst. Dreizehn der Fotos stellen Bäume und Büsche dar, während die anderen drei gehäutete Tierfelle, koptische Reliefs mit einem Kreuz markiert und ein hölzernes Altarteil (Pietá) zeigen. Eine der möglichen Interpretationen des Kunstwerks könnte sein, dass das Persönliche und das Heilige in unserem Alltagsmilieu untrennbar miteinander verflochten werden, egal ob es Pantheismus, Schamanismus oder Ökologie betrifft.

Neben der Arbeiten der Indigo-Gruppe ist eine kleine Auswahl von Fotografien von Miklós Erdély, die vor 1984 entstanden, zu sehen. Erdély, der Skulpturen, grafische Arbeiten, Malereien, Objekte, Collagen, Environments, konzeptuelle Arbeiten, Aktionen, Filme und Videos machte, benutzte seit den späten 1960er Jahren Fotografien und Fotogramme als autonome Werkzeuge des Ausdrucks und kreative Elemente individueller Arbeiten. Ein Beispiel für das letztere ist seine Arbeit Das Persönliche und das Heilige, welche die letzte solcher Arbeiten war. Erdély selbst fotografierte nicht, sondern er fand seine Fotos oder hatte jemanden (häufig einen seiner eigenen Söhne) der fotografierte, was er brauchte. Er illustrierte oft mit Fotos oder Foto- Aktionen seine kunsttheoretisch-philosophisch-poetische Texte, und gebrauchte Fotos um das Phänomen des Bildes, Funktion und Darstellung zu beobachten für seine konzeptionellen Untersuchungen. Nach den Worten László Beke steht in seinem konzeptionellen Gebrauch der Fotografie, die Metapher der Fotografie als Kunst. Gleichzeitig platzierte er in vielen seiner Fotografien ein oder zwei Elemente der Fototechnik, zum Beispiel Licht, in den Mittelpunkt, wie im Falle des Evening Action (1969) oder Selbst-Erleuchtung (Licht isst Mensch) (1969) aus seinen ausgestellten Arbeiten. Dieser „Fehler“ der „Überbeleuchtung“ wurde in der letzten Arbeit zum Ansatz eines metaphernkreierenden Prozesses. Seine 1972er Metaphern Studien sind genauso poetisch aufgeladen, während seine Keine Fotografien!, die in der Ausstellung anlässlich der Konferenz Kultur und Semiotik 1974 gezeigt wurde, die Frage nach der Interpretation von Symbolen berührt: sie betrifft „pragmatisches Missverstehen von Regeln im semiotischen Sinne“ in den Worten von László Beke. Die konzeptionellen Ursprünge seiner Heiligen Linie von 1980 können zu einem Gespräch mit Gábor Bódy über Film als Material zurückverfolgt werden, welche Erdély folgendermaßen kommentierte: „Ich argumentierte mit Bódy in einer Kneipe darüber was für ein obszönes Material Film ist...ich erklärte wie viel mehr wert das konkrete Aufeinandertreffen von Graphit und Papier ist, was für ein verklärter Moment es ist, wenn man den Graphitstift auf einem reinen weißen Blatt oder irgendetwas ansetzt. ...Nachher versuchte ich über Wege nachzudenken dies noch ätherischer zu gestalten. Das war als ich mir das heilige Linie-Ding ausdachte: ich befestigte ein Stück Blei auf einem Stift, band ein Stück Faden an das Ende und zeichnete die Linie. Und tatsächlich- dies ist ein absoluter Moment von Spurenhinterlassen, solch ein edler Kompromiss von Eingreifen und dem unabhängigen Verhalten von Material, dass vielleicht nur in der Welt Gottes etwas derartiges existiert. Materie irgendwie als Apparatur das tun lassen, was es tun will, es dennoch zu kontrollieren. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man mit einer derartigen Methode keine unattraktive Linie zeichnen kann.“

Seine fotografische Arbeit mit dem Titel Entspannung oder Arbeit ist die visuelle Aufzeichnung einer Idee, 1983 als Aktion aufgeführt, welche nach Aussage einer der Söhne von Erdély auf ein biblisches Zitat zurückgeführt werden kann: „Und er sagte zu ihnen der Sabbath wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbath“ (Markus 2, 27)

Die erste Präsentation der Ausstellung, zusammengestellt aus den fotografischen Arbeiten von Miklós Erdély und der Indigo Gruppe, fand in der Galerie Kisterem in Budapest von Mai bis Juni 2008 statt. Die Show wurde realisiert in Zusammenarbeit mit der Miklós Erdély Stiftung und eine ungewöhnliche Zeitlosigkeit entstand durch die Tatsache, dass zur gleichen Zeit die Ausstellung Fluxus Ost- Fluxus Netzwerke in Zentralosteuropa im Ludwig Museum Budapest zu sehen war; eine Ausstellung die von der Sammlung zeitgenössische Kunst der Ersten Bank im ICA – Dunaújváros organisiert wurde; und die Ausstellung mit dem Titel Konzept, Konzeption, Extrakte organisiert von Dóra Maurer (Open Structures Association) im Vasarely Museum; eingebettet im in einem Kontext in dem Einzelarbeiten von Miklós Erdély zu sehen waren. Parallel dazu wurde die Ausgabe publiziert, welche die pädagogischen Aktivitäten von Miklós Erdély präsentiert, in welcher Indigo Arbeiten, die in der laufenden Ausstellung zu sehen sind, erstmals publiziert wurden.