HERBERT HINTEREGGER & MICHAEL SAILSTORFER --
Schnell-langsam, laut-leise, offensiv-defensiv, maximal-minimal – fast drängt sich der Eindruck auf, eine Zusammenstellung von Arbeiten des deutschen Künstlers Michael Sailstorfer und des österreichischen Künstlers Herbert Hinteregger ließe sich primär durch Dychotomien beschreiben.
Tatsächlich kommen die Arbeiten des international gefeierten Installations- und Objektkünstlers Michael Sailstorfer oft mit einer vereinnahmenden Direktheit daher, der man sich schwerlich entziehen kann. Da werden Straßenlaternen von einem zum Katapult umgebauten Mercedes über den Acker geschossen, Polizeiautos zu einem Schlagzeug umfunktioniert, hängen meterhohe Bäume kopfüber von der Decke und wischen von einem Motor betrieben den Boden auf oder kreist eine Laterne um eine blaue Weltkugel, die aus einen alten Stadtbus gefertigt worden ist. Es sind Gegenstände des Alltags, die Sailstorfer in bewundernswerter Unbekümmertheit dekonstruiert, deformiert, adaptiert und neu zusammengesetzt in neue Bedeutungszusammenhänge und räumliche Kontexte stellt. Dabei interessieren ihn die spezifische Geschichte der verwendeten Alltagsgegenstände, die auch über ihre Dekonstruktion und Verformung hinaus dazu in der Lage sind, ein vielschichtiges Assoziationsnetz aufzuspannen. Stets ist den daraus entstehenden Objekten eine absurde oft auch melancholische Komik inhärent. Fast meint man Sailstorfers sentimentales Streben zu erspüren, der durch den Überfluss an Konsumgegenständen unübersichtlich gewordenen Welt durch simple, nachvollziehbare Installationsanordnungen zu trotzen. Der Zugang ist dabei mehr von einem spielerisch-leichten Pragmatismus geprägt, denn von einem hochkomplexen Experimentalgedanken. So entstehen trotz der offensiven Direktheit oft poetisch anmutende Skulpturen, die durch Einbeziehung von Bewegung, Lärm oder Geruch mehrere Sinne des Rezipienten ansprechen und wie lebendig gewordene Organismen in den Raum expandieren, ja ihn vollkommen vereinnahmen.
Dagegen spielen die minimalistischen Malereien Herbert Hintereggers scheinbar zunächst auf einer leiseren Klaviatur. Seit Mitte der 1990er Jahre entwickelte der österreichische Künstler ein sehr eigenständiges Vokabular geometrischer Abstraktion, die ihn von Gitter- und Netzwerkstrukturen mit zahlreichen Überlagerungen und Brüchen zu der gegenwärtigen strengen vertikalen Streifenanordnung führte. Wenngleich Hinteregger mit verschiedenen Materialien wie weißer oder schwarzer Grundierungsfarbe, Schleifpapier von verschiedenen Körnung und Farbe und verschiedenen Trägermaterialien wie Leinwand, groben Rupfen, Jeans oder gefärbten Sackleinen experimentiert, bleibt seit Anbeginn seiner malerischen Auseinandersetzung Kugelschreibertinte der beherrschende Werkstoff. In einem langwierigen und sehr langsamen Prozess tropft aus tausenden BIC Kugelschreibern die Tinte, die in zahlreichen Schichten ungemein exakt auf den Bildträger aufgetragen wird. Die einzelnen Flächen sind durch Klebestreifen, die nach Beendigung des Malvorgangs teilweise abzogen werden, scharfkantig voneinander abgesetzt. Durch den konzentrierten Farbauftrag werden nicht nur Reliefstrukturen sichtbar, sondern ergibt sich auch ein einzigartig irisierender Oberflächenreiz, der subtile Farbvarianten und Licht und Schattenspiele wahrnehmbar macht. Konstruktion durch Destruktion eines industriell gefertigten Massenprodukts - wobei es Hinteregger dabei in erster Linie nicht um den zerstörerischen Akt sondern um die sanfte Überführung von Materialien in einen neuen Kontext- und Bedeutungszusammenhang geht.
Die erste gemeinsame Ausstellung von Michael Sailstorfer und Herbert Hinteregger in der Georg Kargl BOX lassen nun nicht nur die eingangs beschriebenen Unterschiede, sondern auch erstaunliche Verbindungen zu Tage treten. Die Höhe des Ausstellungsraumes ausnützend, montiert Sailstorfer weit über Kopf einen Elektromotor, der beständig einen Autoreifen antreibt und gegen die Wand presst. Dieser nützt sich unter ohrenbetäubenden Lärm und beißendem Gummigeruch langsam ab und hinterlässt am Boden feinen Gummistaub. Auf der Frontalwand des Raumes hat Hinteregger hingegen ein monumentales, feingliedriges Streifenbild auf ein weißes Wandpodest stark versetzt gehängt. Fugenlos scheint der in seinen Abmessungen dem Gemälde entsprechende Kubus aus der Wand zu wachsen, verschmilzt mit ihm und formt es zugleich zum Objekt. Gleichzeitig affirmiert und konterkariert Hinteregger damit die herkömmlichen Präsentations- und Vermittlungspraxen von Kunst und Designobjekten.
„Zeit ist keine Autobahn“ ist der absurd anmutende Titel Sailstorfers Werk. Geht man davon aus, dass Autobahnen vornehmlich mit Geschwindigkeit konnotiert sind und führt man sich hingegen den extrem langsamen Abnutzungsprozess des Reifens vor Augen mag Sailstorfer über die Titelgebung eine poetische Reflexion über Zeitdimensionen und dessen Wahrnehmung sowie Gedanken zur Metamorphose der Dinge in der Welt im Sinn gehabt haben. In Hintereggers Streifenbild spielt Zeit hingegen eine konstruktive Rolle, wobei damit nicht allein der künstlerische Entstehungs- sondern auch der Rezeptionsprozess gemeint ist, der, je länger er andauert, zu überraschenden sinnlichen Reizen, Überlagerungen und sanften Rhythmisierungen führt, vergleichbar mit den Schwingungen von Saiten einer Harfe.
Ist eine Verbindung also nur durch ein gemeinsames Gefühl von Sentiment, einer fast romantischen Sehnsucht nach der Beherrschung einer immer komplexer werdenden technisierten Welt zu suchen, die den Pragmatiker Sailstorfer dazu treibt, buchstäblich Spuren zu hinterlassen und den Sensualisten Hinteregger in seiner selbstauferlegten Beschränkung der Hektik und dem schnellen Konsum zu entfliehen? Actio est Reactio besagt das dritte newtonsche Axiom oder Wechselwirkungsgesetz, Kräfte treten immer paarweise auf und erst in der Verbindung wird das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile.
Fiona Liewehr