Cinematic Scope --
Andreas Fogarasi, Björn Kämmerer, Manuel Knapp,
David Maljkovic, Wolfgang Plöger, Tobias Putrih
kuratiert von Fiona Liewehr
Videodokumentation zu Cinematic Scope
Der Standard, Film und Kunst: Endlose Schleifen
Die Ausstellung Cinematic Scope bei Georg Kargl Fine Arts stellt sechs jüngere künstlerische Positionen miteinander in Beziehung, die sich einer erweiterten filmischen Praxis verschrieben haben. Cinematic Scope, was als filmischer Handlungsspielraum aber auch als Entfaltungsmöglichkeit übersetzt werden kann, stellt in zeitgenössischer Reflexion und künstlerischer Aneignung der Errungenschaften der Expanded Cinema Bewegung der 60er und 70er Jahre die traditionelle Projektionsanordnung vom bewegten Bild erneut zur Diskussion. Trugen die KünstlerInnen und Filmemacher jener Zeit durch Aktionen, Happenings, Environments und Mehrfachprojektionen ganz grundsätzlich zu einem neuen Verständnis vom medialen Bild und zu einer erweiteten Körpererfahrung im physischen Raum bei, setzen sich die KünstlerInnen der heutigen Generation mit den kinematografischen Projektionsräumen unter digitalen-postmedialen Bedingungen auseinander. Seit Mitte der 1990er Jahre hat das Bewegtbild endgültig Einzug in die klassischen (Re)präsentationsräume der bildenden Kunst gehalten und seit Projektoren die Bilder von ihrem Trägermedium gelöst haben, lassen sie sich auch außerhalb einer nachempfundenen Kinosituation der Black Box gleichsam frei schwebend im Raum positionieren. Der gesamte architektonische Raum kann jenseits des gerichteten Dispositivs des Kinos zum temporären Screen werden und integriert den Betrachter in den erweiterten Bildraum.
Cinematic Scope versammelt Positionen, die vor Augen führen, dass die Faszination für das mittlerweile „klassische“ Medium Film keineswegs verloren gegangen ist, sich jedoch die Spuren der filmischen Wirkungsästhetik in der bildenden Kunst seit den 70er Jahren durch die rasch voranschreitende Technologie enorm vervielfältigt haben. Dies findet seinen Niederschlag in den unterschiedlichsten Installationskonzepten, die von 16mm Filmskulpturen über HD Flatscreen Environments über DVD Mehrfachprojektionen bis hin zur rein digital entstandenen Animationsanordnung reichen. Dabei zeigt sich, dass die kinematografischen Raumkonfigurationen mit ihren Bezügen zur spezifischen Architektur, die mise en scène des Präsentationsrahmens und die Entgrenzungen postmedialer Bildräume noch immer für Entfaltungsmöglichkeiten offen stehen.
Im Eingangsbereich der Galerie hat der deutsche Künstler Björn Kämmerer ein drei Meter hohes Gerüst installiert, auf dem sich ein 16mm Projektor langsam im Kreis dreht und über den Köpfen der Besucher hinweg den Kurzfilm eines ständig Endlosschleifen ziehenden Radfahrers an die Wand wirft. In der unruhigen Architektur des Raumes verschwindet das Bild immer wieder, um nach kurzer Zeit auf der gegenüber liegenden Wand wieder aufzutauchen und dann den öffentlichen Raum der anderen Straßenseite in das filmische Raumerleben miteinzubeziehen. Durch die teils gegenläufige Bewegung von Radfahrer und Apparatur wird die räumliche Orientierung aufgehoben und ein fast beklemmendes Gefühl von Unendlichkeit erzeugt.
Manuel Knapp projiziert in einer rein computergenerierten Animation ein aus stark bewegten Flächen und Linien zusammengesetztes geometrisch reduziertes Gefüge auf zwei voneinander getrennt positionierten glänzend schwarzen Leinwänden. Nicht nur innerhalb der virtuellen Raumkonstellation überlagern sich die Bildzonen in ein Davor und Dahinter, verändern, verschieben und brechen sich, sondern öffnen scheinbar auch die realen Raumgrenzen, wenn die Projektion auf die stark changierende Oberfläche beziehungsweise auf die matte Wandfläche trifft. Es entsteht eine unauflösbar verwobene Raumkonfiguration, die einer ständigen Mutation unterworfen ist. Knapp interessiert sich für die Auslotung der Grenzen der Wahrnehmbarkeit, für die Zwischenräume, Leerstellen und Fehlstellen, die aufgrund der zwar kalkulierten aber stets auch unvorhersehbaren medialen Systemleistungen entstehen.
Der deutsche Künstler Wolfgang Plöger hat in seiner dreiteiligen 16mm Filminstallation „Texas Loud, Texas Proud“ die letzten Worte von hingerichteten US-Häftlingen mittels Siebdruck auf Blankfilm gedruckt. Ursprünglich materiell nicht dafür vorgesehen ergibt sich auf dem Polyestermaterial ein unregelmäßiges Schriftbild von unterschiedlicher Farbdichte , das, sobald es an der Linse des Projektors vorbeiläuft, zu einem abstrakten krakelierten Fragment aufbricht, während der Text auf den frei im Raum geführten Filmschleifen lesbar bleibt. Im Transfer von klassischem Printmedium auf Bewegtbild schafft er ein beständiges Oszillieren zwischen Narration und Abstraktion. Die Rezeption von Film wird einer Dekonstruktion und Recodierung unterzogen und die Repräsentation von Realität durch den kinematografischen Apparat und der daran geknüpften Wahrnehmungsveränderung hinterfragt. Das Scheitern der Technologie am Material in dem Moment , in dem der Bildtext seinen Informationsgehalt einbüßt, rückt zugleich den Vorführapparat und den Film selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Die monumentale Arbeit Pre-Projektion des slowenischen Künstlers Tobias Putrih nimmt die paradoxe Position ein, gleichzeitig monumentale Skulptur und Projektionsapparat zu sein. Eine auf dem Kopf gedrehte stumpfe Pyramide hängt freischwebend von der Glasdecke der Galerie und überträgt ein winziges abstraktes Bewegtbild auf einem am Boden liegenden Silberlöffel. Der Titel des Werks kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass sich im Inneren der Konstruktion kein mechanischer oder digitaler Apparat verbirgt, sondern die bereits seit der Antike bekannte Funktionsweise einer Camera Obscura ausnützt: das Bild entsteht durch einen beleuchteten Deckenventilators, dessen Reflexion durch eine kleine Öffnung auf den Löffel fällt. Durch die komplette Demontage des Übertragungsmediums führt Putrih das Prinzip Kino ad absurdum und bindet es in den Bereich der bildenden Künste und verweist auf den brüchigen Charakter von Realität und Fiktion der filmischen Repräsentation.
Andreas Fogarasi beschäftigt sich in seiner dreiteiligen Videoinstallation Constructing / Dismantling mit einem kulturellen Gebäudekomplex, das vom Stararchitekten Peter Eisenmann außerhalb des Zentrums von Santiago de Compostella geplant wurde. Die „City of Culture“ soll in Zukunft eine Bibliothek, Archive, ein Opernhaus und Museen beherbergen. Das spektakuläre Projekt von immensen Ausmaßen droht jedoch an der anhaltende Finanzkrise in Spanien endgültig zu scheitern und zu einer von etwa achthunderttausend im Land befindenden Ruinen der Moderne zu werden. Ein Video zeigt die verwaiste Baustelle und die sie umgebenden karge Landschaft, das zweite wurde auf einem Jahrmarkt in Santiago gedreht und dokumentiert den Abbau der temporären Freizeit-und Vergnügungsarchitektur. Das dritte Video fokusiert auf einen Blumenteppich, der die Zahl 2010 formt und gerade von Straßenkehrern weggefegt wird, bis nur noch die Kreideumrisse sichtbar sind. Rückwärts abgespielt ergibt sich ein unendlicher Loop von Rekonfiguration und Zerstörung und wird in Beziehung zu den beiden anderen Videos zu einem feinen Sinnbild der Entwicklung und der Veränderungen von Stadträumen, die in ihrer Architektur das Versprechen auf eine bessere Zukunft spiegeln, und gleichzeitig aufgrund ihres heutigen ruinösen Zustandes dessen melancholisch stimmendes Scheitern.
Auch der kroatische Künstler David Maljkovic setzt sich in seiner zweikanalige Videoinstallation „Out of Projection“ mit den Verflechtungen von Erinnerung und zukünftigen Visionen auseinander. Er bezieht sich auf gegensätzliche Filmgenres wie Dokumentation und Science Fiction. „Out of Projection“ wurde auf dem streng bewachten Testrecke des Peugeot Hauptsitzes in der französischen Stadt Soucgaux gedreht. Der große Screen im Vordergrund zeigt die einstigen Protagonisten des stets an Ideen für die Zukunft arbeitenden Automobilkonzerns. Für seinen Film holte Maljkovic die heute pensionierten Arbeitnehmer zurück an ihre Wirkungsstätte und inszeniert sie als missing link von Vergangenheit und Zukunft indem er sie langsam über die Testrecke wandern und futuristisch anmutende Prototypen schieben lässt. Die zweite kleinere Projection im Hintergrund zeigt Close Up von Interwiews mit den ehemaligen Ingenieuren der Zukunft. In stiller Erinnerung reflektieren sie Utopien, Wünsche und Versprechen der Vergangenheit, die sich mit Gegenwart und Zukunft zu einem feinem Stimmungsbild von Zeit verflechten.
Text: Fiona Liewehr