Bernhard Leitner -- Watching the Sound
Bernhard Leitner, Watching the Sound, 2016, Ausstellungsansicht, Foto: Peter Paulhart, Courtesy Georg Kargl BOX, Wien
Bernhard Leitner, Watching the Sound, 2016, Ausstellungsansicht, Foto: Peter Paulhart, Courtesy Georg Kargl BOX, Wien
Bernhard Leitner, Watching the Sound, 2016, Ausstellungsansicht, Foto: Peter Paulhart, Courtesy Georg Kargl BOX, Wien
„Watching the Sound“ fordert Bernhard Leitner von den Rezipienten seiner jüngsten Installation in der Georg Kargl BOX. „Hearing the Sculpture, the Video and the Photography“ könnte man hinzufügen. Bernhard Leitner, dem vor wenigen Wochen der Österreichische Medienkunstpreis verliehen worden ist und dessen umfangreiche Ausstellung TON – RAUM – SKULPTUR noch bis 31. Juli 2016 im Landesmuseum in St. Pölten zu sehen ist, macht in seiner Installation deutlich, dass Ton nicht nur akustisch und physisch sondern auch visuell erlebbar wird.
Der folgende Text stammt aus der Publikation zum Österreichischen Kunstpreis und skizziert Bernhard Leitners künstlerische Entwicklung von den Anfängen in den 1960er Jahren bis zu den jüngsten Arbeiten.
„Mit den Augen hören und mit den Ohren sehen“
über Bernhard Leitners TonRaumSkulpturen
„Ich höre mit dem Knie besser als mit der Wade“, jene zunächst absurd anmutende Aussage Bernhard Leitners erklärt sich aus seinem bis heute mit ungebrochener Leidenschaft und Akribie verfolgten Interesse: die Untersuchung der Beziehung zwischen Ton-Raum-Körper. Seit Ende der 1960er Jahre arbeitet Bernhard Leitner im Grenzbereich von Architektur, Skulptur und Musik, wobei er Töne als konstruktives Material begreift, als architektonische Elemente, die einen Raum erst entstehen lassen. Töne bewegen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch den Raum, steigen auf und ab, schwingen hin und her und spannen innerhalb der statischen Grenzen des architektonischen Rahmens dynamische, sich ständig verändernde Raumkörper auf. Es entstehen eigenständige Räume, die sich visuell nicht festmachen lassen und nicht von außen überblickt werden können, hörbare, mit dem ganzen Körper spürbare, innere Räume. Leitner spricht von „körperhaftem“ Hören, demgemäß die akustische Wahrnehmung nicht nur über die Ohren sondern über den ganzen Körper erfolgt, wobei jeder Körperteil und jeder Körper abhängig von seiner eigenen physischen Konstitution unterschiedlich gut „hört“. Bernhard Leitners durch Töne modellierte Räume sind immateriell, es sind keine real gebauten Räume, mit klaren Begrenzungen durch Wände, Decken und Böden, in denen etwas Akustisches stattfindet. Es sind Räume, die nur mit allen Sinnen gleichzeitig empfunden, in der Zeit erfahren werden können. Sie werden als klar begrenzt wahrgenommen, können aber nicht abgemessen werden, da sie in dem Moment, in dem sie entstehen auch schon wieder verschwinden, sich ihre Dimensionen verschieben und neu zusammensetzen. “Diese Räume haben keine gleichzeitig erlebbaren Grenzen, sie sind auch nicht ‘fließend-dynamisch’ im herkömmlichen Sinn. Sie entstehen und vergehen. Raum ist hier eine Folge von räumlichen Ereignissen – wesenhaft ein Ereignis der Zeit. Raum wird in der Zeit entwickelt, wiederholt und verändert.”[1]
Bernhard Leitners Leistung, ‘Klang/Sound’ als Erster in die Skulptur eingeführt zu haben, beziehungsweise den skulpturalen Raum erst durch Töne akustisch zu definieren, war revolutionär. Worauf begründete sich diese Idee und was war das Umfeld in dem sich diese entwickeln konnte?
Bernhard Leitner, 1938 in Feldkirch geboren, in Innsbruck aufgewachsen, geht 1956 nach Wien, um an der Technischen Universität Architektur zu studieren. Hier setzt er sich mit der kritischen Wiener Moderne unter anderem mit Loos, Kraus, Schönberg oder Wittgenstein auseinander. Von besonderem Interesse für Leitner ist, was in Wien in den späten 1950erJahren an Neuer Musik aufgeführt wird. Später erinnert er sich an diese Zeit: “Das war das Neue Denken in der Musik mit seinem Sich-Öffnen in den Raum: Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono, Mauricio Kagel. Wien war zusammen mit Paris und Köln der Ort, wo man diesen Aufbruch am Besten erleben konnte (...). Das hat mich fasziniert. Auch die Grafik, zum Beispiel die in der Zeitschrift
„die Reihe“ (1962, Nr 8) abgedruckten Chromatik-Sequenz-Rotationen, komplex musiktheoretische Abhandlungen über Akkorddrehungen im Raum, fand ich anregend. Ich habe sie allerdings wohl mehr mit einem architektonischen Auge gelesen. Dazu kam ein Interesse für Tanz, für die Bewegung von Körpern im Raum.”[2] Es ist also jenes intellektuelle Spannungsfeld aus Neuer Musik, Tanz, Philosophie und theoretischer Architekturbeschäftigung, in dem sich der junge Leitner bewegt und das ihn rasch erkennen lässt, das Architektur, neben Funktions- und Stilfragen vor allem mit Körper, Bewegung und Maß zu tun hat.
Mit all diesen Einflüssen in seinem geistigen Gepäck zieht er 1968 nach New York und beginnt losgelöst vom historischen Umfeld in der Anonymität der Großstadt erste Ideen zum komplexen Verhältnis von Ton und Raum zu notieren. Es sind Gedankensplitter wie “Ton-Räume sind Zeit-Räume”, “Die Elementarbeziehungen Ton und Raum sind vernachlässigt” oder “nach so vielen Allegorien Musik-Architektur müssen endlich Töne gebaut werden“, die er niederschreibt und die er bald in zahlreichen akribisch geführten Skizzen und Arbeitsbüchern visuell aufzuzeichnen beginnt. Er nähert sich den plastisch architektonischen Qualitäten von Klang/Sound zunächst rein theoretisch an, betreibt künstlerisch-wissenschaftliche Grundlagenforschung.
Ab 1971 beginnt Leitner in seinem Atelier in New York seine praktischen Ton-Raum-Untersuchungen. Es entstehen temporäre Installationen aus Holzlatten, auf denen Lautsprecher in regelmäßigen Abständen angebracht sind und die zu unterschiedlichen geometrischen Anordnungen kombiniert werden konnten. Die formgebend-exakte, individuelle Ansteuerung funktionierte zunächst über ein mit einem Techniker entwickeltes Schaltgerät, einer Kreisrelaisschaltung mit Handkurbel. Auch das zweite Steuergerät für vielkanalige bildnerische Kompositionen mußte von Leitner mit einem Ingenieur entwickelt werden, da eine Umsetzung seiner visionären Ideen mit damals marktüblichen Geräten nicht möglich war. Er erarbeitet Mehrkanalton-kompositionen aus nicht musikalisch konzipierten Klangaufnahmen, die er mit eigens entwickelter Programmiersprache visueller Codes aus Buchstaben- und Zahlenkombinationen auf Papierrollen notiert und auf Lochstreifen überträgt. So gelingt es Leitner erstmals, Töne und Tonfolgen in verschiedenartige, exakt geführte Bewegungsabläufe zu versetzen, die „Raummodelle in einer unsichtbaren (neuen) Geometrie“[3] erschaffen. Einer Geometrie, die von Tonabfolgen geformt und getragen ist und Röhren, Tunnel, Wiegen, Säulen zu beschreiben imstande ist.
Im Unterschied zum „Klang im Installationsraum“, also unserer herkömmlichen Vorstellung von „Klanginstallation“, in der Klang raumfüllend ist und dem Besucher das Gefühl gibt Teil eines als gesamten Raumes zu sein, schafft es Leitner, durch Töne jeweils eigene Räume zu modellieren, die in Ausstellungssituationen auch nebeneinander existieren können und vom Besucher aktiv betreten werden müssen. Der Besucher wird sich unweigerlich der Zugehörigkeit seines eigenen Körpers im Ton-Raum bewusst und reagiert mit allen Sinnen darauf. Nicht nur, dass die Töne seinen eigenen Körper durchströmen, er beginnt auch schon bald, sie visuell zu verfolgen, also „mit den Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen“[4] – und sie sogar haptisch begreifen zu wollen.
Die visuelle Ausformulierung der Leitner`schen Installationen lassen sich in seiner reduzierten und strengen Formensprache zwar in der Tradition der minimalistischen Ästhetik der New Yorker 70er Jahre lesen, jedoch ist diese wohl eher dem neuen Funktionszusammenhang geschuldet, in dem „die Verschiebung der Aufmerksamkeit von der visuellen zur klanglichen Ebene der Installation“[5] verfolgt wird. Auch sind die verwendeten Töne zunächst bewusst sehr einfach gehalten, einerseits weil Leitner, wie er selber betont, nicht musikalisch denkt und der Besucher anderseits nicht etwa durch eine Melodie von seiner räumlich-akustischen Aufmerksamkeit und Neugierde abgelenkt werden soll.
Ab Mitte der 1970er Jahre, als Body Art und Performance die bildende Kunst zunehmend dominiert, beginnt Bernhard Leitner noch stärker als bisher den Körper in sein gesamtheitliches Konzept miteinzubeziehen und ihn noch mehr als Resonanzkörper zu begreifen. Ton-Raum-Skulpturen wie der Tonanzug (1975), einem mit einem Netz überzogenen Overall mit daran angebrachten Lautsprechern, die Tonliege (1974) oder der Tragraum (1976), der über die Schultern gehängt wird, sind dem „modernen Prinzip des emanativen Körpers“[6] insofern verschrieben, als der Klang durch direkt am Körper getragene Lautsprecher das gesamte vegetative Nervensystem spürbar beeinflusst und zu einer gesamtleibhaftigen Erfahrung werden lässt.
Bernhard Leitner ist damit Teil der internationalen Avantgardebewegungen, die den Kunstbegriff um die aktive Einbeziehung des menschlichen Körpers in den künstlerischen Kontext erweitert haben. Niemand hat jedoch den Körper zur damaligen Zeit als akustisches Empfangs- als Körper-Hörorgan untersucht. Der passive Betrachter wird zum individuellen Akteur, zu einem mit dem Kunstwerk untrennbar verbundenen Teil, für den manchmal auch bestimmte Körperposen vorgesehen sind. Objekte wie der Tonanzug oder der Tragraum erlauben die individuelle Bewegung des Benutzers, da er den Ton direkt mit sich trägt und je nach Stellung oder Abstand zum umgebenden Raum durch Reflexion und Rückkoppelung auch seine individuelle Raumerfahrung aktiv mitgestalten kann. Spätere Installationen wie der Vertikale Raum (1975), der für die documenta 7 geschaffene Ton-Würfel (1982), oder Innen-Welten/Selbst-Vermessung (2002), bei der der Besucher in der Mitte der Skulptur Platz nimmt, weisen dem Rezipienten eine bestimmte Raumposition zu. Seine Rolle als Subjekt der Betrachtung wird hin zum Objekt der Betrachtung verschoben. Die Pulsierende Stille (2007), einander gegenüber hängende Metallplatten auf deren Außenseiten jeweils ein Lautsprecherchassis angebracht ist, lässt sich akustisch überhaupt nur erfahren, wenn der Besucher zwischen die beiden Platten tritt, da er nur dort durch die Vibration der Platten ein Pulsieren wahrnimmt, während außerhalb der Skulptur Stille herrscht.
Die Erfahrung der meisten Ton-Räume Bernhard Leitners ist ein subjektives, oft einsam erlebtes Ereignis. Gruppendynamische Kollektiverfahrungen sind zugunsten einer meditativen, selbstversunkenen Innenschau verschoben, indem sich der Besucher der Zugehörigkeit seines eigenen Körpers zum einheitlichen Raum der Klanginstallation bewusst wird und sich die Übergänge vom „Raum-Gefühl (in der Architektur)“ hin zum „Gefühlsraum (der Klangwelt)“[7] zu verschleifen beginnt. Selbst die in den letzten 40 Jahren zahlreich geschaffenen Installationen im öffentlichen Raum tragen diesem Gefühl Rechnung. Bereits 1987 konnte Bernhard Leitner etwa den bis heute existierenden Cylindre Sonore im Parc de la Villette in Paris realisieren. In einem innerhalb der Landschaft des Parks abgesenkten Bambusgarten ist ein nach obenhin offener Doppelzylinder eingebettet, in dessen Ringraum zwischen den Zylindern acht jeweils säulenartig übereinander montierte Lautsprecher durch perforierte Betonelemente die Ton-Raum-Komposition in das Innere des Zylinders projizieren. Aus jedem Betonelement rinnt entlang eines schmalen Bandes Wasser in ein Becken, welches den Boden des Zylinderraumes inselartig einfasst und durch sein leises Rauschen die urbanen Geräusche neutralisieren und den Besucher auf sein Hören mit Ohr, Haut und Körper akustisch einstimmen soll. Selbst wenn der zehn Meter Durchmesser betragene Innenzylinderraum stets mehreren Besuchern Platz bietet, fördert die bewusste Abgrenzung von der Weitläufigkeit des Parks ein In-sich- geschlossen-Sein, kontemplativ versunken im eigenen Gefühls- und Denkraum.
Wie sehr Leitners Installationen dazu imstande sind, die Bewegungs-geschwindigkeit des Besuchers, beziehungsweise seine Rezeptionsform nicht nur zu verlangsamen und zu beruhigen, sondern sie auch zu dynamisieren wird eindrucksvoll in seiner 48-Kanal-Komposition Serpentinata (2007) vorgeführt. Durch zwei ineinander verschlungene und organisch frei im Raum aufgehängte Kunststoffschläuche, an denen je 24 Lautsprecher in regelmäßigen Abständen angebracht sind, scheint der Ton mal in knirschenden Geräuschen herab zu rieseln, mal in zischenden Lauten hindurchzuschießen und verwandelt die gesamte Skulptur in einen „akustisch – schwingenden Organismus“ (Leitner), der fast selbst zu atmen scheint.
Im Vergleich zu den reduzierten, formal asketischen Installationen, an denen Tonfolgen scheinbar geometrisch strenge Raumkörper aufzuspannen vermögen, wirkt die Serpentinata wie eine heitere, lockere Raumzeichnung, die der Besucher in fast tänzelnden Bewegungen zu verfolgen sucht.
In jüngster Zeit erwecken Bernhard Leitners Ton-Raum-Körperinstallationen, die sich stets an den Grenzbereichen von Klang, Skulptur und Architektur entwickelt haben und sich jeder eindeutigen Verortung entziehen, nun auch das Interesse von Künstlern aus den darstellenden Disziplinen. Tänzer und Performer entwickeln entlang seiner Klang-Raumkörper eigene Choreographien und lassen in „raum-zeitlichen“ Performances neue Körper- und Bewegungsräume entstehen. Sie lassen sich auf sein Universum ein, in dem visuelle, akustische, zeitliche und körperliche Erfahrungswelten „in-eins-fallen“ und in dem das „Im-Klang-Sein“ zu einem „In-der-Welt-Sein“[8] wird und in dem alle Disziplinen die Leitner bereits zu Beginn seiner Karriere interessierten, ja ihn erst zur Entwicklung seiner bahnbrechenden Ton-Raum-Skulptur unbewusst inspiriert haben, endgültig verschmelzen.
Text: Fiona Liewehr
[1] Bernhard Leitner in einem Gespräch mit Eugen Blume. in: Bernhard Leitner, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin 2008, S. 6 und 18
[2] ebenda. S. 14
[3] Catrin Pichler, Zu den Ton-Raum-Objekten von Bernhard Leitner, Geometrie der Töne, Reihe Cantz, Ostfildern 1997
[4] „Wir hören mit den Augen, und wir sehen mit den Ohren“, Bernhard Leitner in einem Gespräch mit Eugen Blume. in: Bernhard Leitner, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, S. 18
[5] Boris Groys, Die Klanginstallationen von Bernhard Leitner, .P.U.L.S.E. ZKM Buch, Hatje Cantz 2008
[6] Elisabeth von Samsonov, PANAUDITION. All-Frequenz und Ganzkörperohr, Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinadeum Innsbruck, 2008
[7] Der Hörbare Raum, Gespräch von Ulrich Conrads und Bernhard Leitner, DAIDALOS 17, Berlin 1985
[8] Catrin Pichler, Zu den Ton-Raum-Objekten von Bernhard Leitner, Geometrie der Töne, Reihe Cantz, Ostfildern 1997