Denisa Lehocká -- POINT

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Denisa Lehocká, Untitled, 2022

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Denisa Lehocká, Untitled, 2020-2021

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Denisa Lehocká, Untitled, 2020-2021

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Denisa Lehocká, Untitled, 2022

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Denisa Lehocká, Untitled, 2023

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Denisa Lehocká, Untitled, 2022

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Denisa Lehocká, Untitled, 2022

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Denisa Lehocká, Untitled, 2021-2023

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Denisa Lehocká, Untitled, 2022-2023

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Denisa Lehocká, Untitled, 2023

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Denisa Lehocká, Untitled, 2023 (detail)

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Denisa Lehocká, Untitled, 2023 (detail)

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Denisa Lehocká, Untitled, 2023 (detail)

Denisa Lehocká
POINT
12/05/2023 - 22/07/2023


Niemals nicht dringend:
Inne halten mit dem Werk von Denisa Lehocká
von Maria Hlavajova

Es gibt ein Objekt auf meinem Schreibtisch, dass ich überaus schätze. Wann immer ich eine Pause von der zermürbenden, endlosen Arbeit brauche, und sei es auch nur für eine Nanosekunde, versuche ich, meine Augen darauf ruhen zu lassen, um ein wenig Energie aufzusaugen und meinen Verstand dazu zu bringen, gegen alle Widerstände weiterzumachen ... gegen die ständige Erschöpfung, gegen absurde Anforderungen, gegen den Termindruck, gegen alle Dinge des Lebens - so wie jetzt.

Das betreffende Objekt hat keinen Titel oder heißt wie bei Denisa Lehocká üblich Untitled, aber ehrlich gesagt, weiß ich es einfach nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, wann es entstanden ist oder wann sie es mir geschenkt hat; es könnte jederzeit innerhalb der letzten mehr als dreißig Jahren gewesen sein, in denen sie sich systematisch und unbeirrt mit ihrer Arbeit beschäftigt hat und die ungefähr der Zeit entsprechen, seit der wir uns kennen. Das scheint nicht unbedeutend zu sein - ich meine, die Tatsache, dass ich dem Objekt keinen Namen und kein Datum zuordnen kann -, denn diese etikettierenden Tropen der (westlichen) Kunstgeschichte, die eine systematisch fortlaufende Praxis in verschiedene Werke unterteilt, entstehende Untersuchungen in isolierte Zeitlinien gliedert oder die den Fluss des Schaffens in unzusammenhängende Projekte unterbricht, könnten in diesem Fall bedeutungslos sein. Nichts von alledem trifft zu. Das besagte Objekt könnte vorübergehend aus jeder ihrer Installationen herausgelöst worden sein, und ebenso könnte es jederzeit wieder in ihre „kompositorischen Formationen“ eingefügt werden, je nachdem, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln. Nur um sicher zu gehen: Das soll nicht heißen, dass das Objekt in irgendeiner Weise anonym und auswechselbar wäre oder keine Bedeutung hat. Im Gegenteil: Das Ding ist aus Lehockás Oeuvre, und zwar unverkennbar. Es gehört zu ihrer sich ständig werdenden Erkundung - einem endlosen, andauernden, unaufhörlichen Fluss der Auseinandersetzung - weder nach individueller Objekthaftigkeit noch was wir einfach "Kunst" nennen, sondern nach der Möglichkeit, ein lebenswertes Leben zu führen, das anders ist als das, was wir "kennen".

Das Objekt, von dem ich spreche, von länglicher Form - eiförmig und phallisch zugleich - ist mit Hunderten, vielleicht Tausenden winziger weißer Perlen versehen. Die Perlen sind miteinander und mit dem darunter liegenden Material durch einen weißen Faden verbunden, der - wahrscheinlich im Laufe der Zeit - seinen Farbton immer leicht verändert hat. Möglicherweise ist es dieser sich verändernde Farbton, der das Innere des Objekts verrät, da er durch die wenigen Flecken zwischen den Pellets sickert. Seltsamerweise scheint dieser innere Zustand, eine Art amorpher Körper, aus ein und demselben Faden zu bestehen, wenn auch millionenfach um sich selbst gewickelt und verdreht. Ein Garn, das aufgerollt, wirr und verdreht ist, bis es nicht nur seine Form behält, weich und schroff, sondern auch - auf eine Art und Weise, die ich nicht ganz beschreiben kann - Raum für meine innere Ruhe und manchmal auch für mein Denken und Fühlen bietet.

Ich kann mir kaum vorstellen, wie viel Mühe und Anstrengung in diesem Werk steckt. Die Menge unaufhörlicher Arbeit, nicht unähnlich der, die ich zu unterbrechen versuche, wenn ich es anstarre. Und dabei handelt es sich nur um dieses eine winzige Ding. Wenn man die weitläufigen Installationen aus unzähligen ähnlichen Elementen bedenkt, die miteinander von Lehocká komponiert werden. Mit jedem Objekt, das hinzugefügt wird, mit jeder Perle, die eingenäht wird, mit jeder Schnur oder jedem Seil, die verknotet und verflochten werden, mit jeder neuen Zeichnung, die gezeichnet wird, mit jeder Stickerei, die gestickt wird, mit jeder Perle, die auf ein Blatt Papier, einen Zweig oder ein Stück Stoff oder einen Stein geklebt wird, mit jeder Form von Gips oder Ton, die geformt wird, mit jeder Verbindung, die mit einem Seil gesichert wird, um das miteinander im Gleichgewicht zu halten und in Beziehung zu setzen...bedenken Sie diese Anstrengung.

Warum fühlt es sich so anders an als die anstrengende Tätigkeit, der ich zu entfliehen versuche?

"Als Frauen", sagte die feministische Schriftstellerin Audre Lorde einmal, "müssen wir untersuchen, wie unsere Welt wirklich anders sein kann."* Eine ziemliche Herausforderung während wir uns durch eine Realität schleppen, deren "größter Schrecken“* darin besteht, dass sie uns alles abverlangt. Wir werden von ihrer extraktiven Logistik ausgehöhlt, die unsere Fähigkeit, ein erfülltes Leben zu führen, unsere Fähigkeit zur Freude und unsere Fähigkeit zu lieben - einschließlich der Liebe zur Arbeit - auffrisst. Beraubt und unzufrieden zurückgelassen "von so viel von dem, was wir tun", wohin sollen wir uns wenden, um "das Gefühl von Zufriedenheit und der Vollendung"* zu finden?  Für das lebenswichtige Gefühl der "Vollständigkeit"?

"Als Frauen", so Lorde weiter, " mißtrauen wir der Macht, die aus unserem tiefsten und nicht-rationalen Wissen entspringt", und diese Macht ist die Macht des "Erotischen"*.  Nicht dieses oberflächliche Phänomen, das in der von Männern geprägten Welt manchmal mit Pornografie verwechselt wird, sondern um die Erotik als eine Quelle der Macht, die aus dem tief verkörperten Wissen entspringt, das man von der heutigen Welt zurückfordern muss. Die Erotik nicht allein als eine Frage dessen, "was wir tun", sondern "wie intensiv und vollständig wir uns dabei fühlen. "Wenn ich von der Erotik spreche", sagt Lorde, "dann spreche ich von ihr als eine Parole der Lebenskraft der Frauen; von jener inspirierenden Energie, dem Wissen und Anwendung, die wir in unserer Sprache, unserer Geschichte, unserem Tanzen, unserem Lieben, unserer Arbeit, unserem Leben zurückfordern."* Eben das ist es. Das Objekt auf meinem Schreibtisch, und mit ihm das gesamte künstlerische Werk von Lehocká, scheint genau aus dem inneren Wissen zu stammen, dass wir nur durch die systematische Umgehung der externen Anweisungen und Erwartungen - auf welche nächste Dringlichkeit wir zu reagieren haben, was, wie und wann und mit wem wir zu tun haben, wie die Kunstwerke beschaffen sein müssen - "beginnen, im tiefsten Sinne uns selbst gegenüber verantwortlich zu sein."*  Die innerste Kraft der Erotik, um die es hier geht, besteht darin, Energie und Arbeit nicht den Fragen und dem Druck der herrschenden Ordnung und der Mächtigen zu widmen, sondern den Fragen und dem Sehnen, die uns selbst betreffen.

Diese Sehnsüchte, die Lehocká in ihrem Werk verfolgt, verkörpern ein hartnäckiges Beharren auf der Freude an der Arbeit und am Leben, allen Widrigkeiten trotzend. Es formt das Verständnis für Widerstand und Widerstandsfähigkeit gegenüber der Welt der Ausbeutung. Es ist eine ebenso subtile wie radikale Weigerung, sich mit der ständigen Erschöpfung, den absurden Anforderungen, dem zeitlichen Druck und all den Dingen, die peripher mit dem wahren Sinn des Lebens nichts zu tun haben, auseinander zu setzen.

Wenn Lehocká in ihrem Atelier ist, geht dieser hartnäckige und dankbare, konsequente und unerschütterliche Arbeitsfluss in die geduldige, sich langsam entfaltende, arbeitsintensive Verbindung der zahllosen winzigen Teile zu Objekten über, und anschließend die zahllosen Objekte zu größeren, diese Kompositionen zu noch größeren Gebilden. Sobald es das Atelier verlässt und in die Öffentlichkeit tritt, verbindet das Ethos des Werks uns mit diesem, indem es uns auffordert, unsere gegenseitigen Abhängigkeiten zu erkennen. Es ist in der Tat ein Akt des Teilens mit anderen - der Kunst und der Arbeit -, der besagt, dass ein anderes Arbeiten, ein anderes Wir und damit eine andere Art zu leben möglich ist. Der Akt des Teilens der "Macht der Gefühle eines anderen", um es mit anderen Worten auszudrücken, und, in Anlehnung an Lorde, der Möglichkeit, gemeinsam "eine echte Veränderung in unserer Welt anzustreben"*.

Dass das besagte Objekt von Lehocká auf meinem Schreibtisch gelandet ist, ist also kein Zufall, sondern ein bewusster Akt der Künstlerin, mich an dieser Energie und diesen Überzeugungen teilhaben zu lassen. Wann immer ich dieses elektrisierende Angebot in Anspruch nehmen muss, weiß ich, dass es nicht dazu gedacht ist, den von mir erwarteten Alltagstrott fortzusetzen, sondern - im Vertrauen darauf, dass man nicht allein, sondern mit anderen verbunden ist, die sich mit denselben Herausforderungen auseinandersetzen - um das freigelegte Potential eines kollektiven, lebenswerten Lebens aus der gegenwärtigen Welt hervorzuholen.

Es ist dieses Zelebrieren des Erotischen in Lehockás Werk, welches, trotz der Welt, niemals ohne Dringlichkeit ist.

 

Bearbeitet von Aidan Wall. Mit Dank an Rahel S. und Peter K.

*Audre Lorde, “Vom Nutzen der Erotik. Erotik als Macht”: Fourth Berkshire Conference on the History of Women, Mount Holyoke College, 1978.