Herbert Hinteregger -- How to (Untitled)
Eröffnung: 25. Oktober 2022, 17 - 21 Uhr
[Zur Ausstellung von Herbert Hintegger How to (Untitled) bei Georg Kargl Fine Arts, Oktober 2022]
Herbert Hinteregger nimmt mit seinem seit Mitte der 1990er-Jahre entwickelten Werk eine wichtige internationale Position im Feld der abstrakten Malerei ein. Sein Werk zeichnet sich dadurch aus, dass es als eine Brücke zwischen dem Prinzip der Reduktion und dem Prinzip des Additiven und Referenziellen in der Weiterentwicklung der Abstraktion verstanden werden kann. Im Zentrum seines Werks steht die Befragung der Möglichkeiten von Malerei heute, die experimentelle Ausarbeitung einer vielfältigen Sprache der Abstraktion, die in Beziehung zur Welt steht – zum Raum, zum Körper, zu Empfindungen, Wahrnehmungen und Assoziationen, implizit auch zu gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Themen.
Hinteregger verbindet in seiner Malerei spezifische konzeptuelle, prozessuale und materialsprachliche Aspekte. Dazu gehört eine sich ständig erweiternde Palette von zum Teil ungewöhnlichen Materialien wie Kugelschreibertinte, Grundierungen, Tapes und Naturmaterialien wie Sand sowie neuerdings auch Leuchtstiftfarben, die mit Farb- und Oberflächenvariationen von Geweben und Textilien kombiniert werden – im Grunde eine Verbindung von Konsumprodukten und Naturstoffen. Dazu gehört auch seine charakteristische rhythmische Bildsprache, die zwischen Rationalität und Intuition, zwischen Konzentration und Irritation oszilliert. Das Bild Untitled (Falshöft), eines der für die Ausstellung neu entstandenen Bilder, verkörpert diese Elemente paradigmatisch. Das wellenförmige Stoffmuster des Trägermaterials tritt in einen Dialog mit den geradlinig aufgetragenen Streifen aus Kugelschreibertinte und scheint sich dieser übergeordneten Schematisierung widerspenstig zu entziehen.
Hintereggers Bildsprache hat sich über die Jahre stark ausdifferenziert. Sie reicht von frühen monochromen Farbfeldern über gestische Schwammbilder bis zu Streifen und Rauten, Netzwerken und Rastersystemen, deren Klarheit und Eindeutigkeit durch Verschiebungen, Schichtungen, Aussparungen und Drifts unterlaufen werden. Diesem Vokabular liegt ein Arbeitsprozess zugrunde, der – im Gegensatz zu allen eingeübten Effizienzbestrebungen – bewusst entschleunigt ist. Die Kugelschreiberfarbe wird manuell aus Minen ausgetropft, das Malen selbst ist aufgrund der chemischen Eigenschaften der Farbsubstanz ein langsamer, konzentrierter Prozess, der auch die Anzahl der entstehenden Malereien limitiert. In den letzten Jahren hat Hinteregger das von ihm entwickelte Vokabular zunehmend auch mit Raumkonzepten verbunden. Er begreift seine Bilder nicht als in sich geschlossene Einheiten, sondern als Elemente in Beziehungs- und Spannungsfeldern mit dem umgebenden Raum. In der aktuellen Ausstellung reagieren die Bilder auf die verschiedenartigen Räume der Galerie, verbunden durch eine minimale Raumzeichnung in Form einer neongelben Linie.
Die den Bildern zugeordneten Titel verweisen auf eine weitere Ebene in Hintereggers Werk – die konzeptuelle Überlegung, Naturerfahrungen in eine abstrakte malerische Sprache zu übersetzen, diese Übersetzung mit Eigenwert zu füllen und für die Erfahrung der Betrachter:innen zu öffnen. Das monumentale zweiteilige Gemälde Untitled (Baltic Sea) im Zentrum der Ausstellung steht dafür beispielhaft. Die konzeptuelle Strenge des Bildes mit seinem genau berechneten Rastersystem löst sich in der Betrachtung allmählich auf. Auf sandfarbenem Gewebe erheben sich feinste, in vielen Schichten gemalte Linien, die wie Wellen über die Bildfläche treiben. Die Teilung des Bildes assoziiert die Linie eines Horizonts. Wie ein Lichtschatten, vielleicht von einem Scheinwerfer oder der untergehenden Sonne, zieht sich eine Schicht aus Neongelb über den Horizont. Die Ostsee (engl. Baltic See), die Nordsee und der Atlantik mit ihrer Natur, aber auch mit den stattfindenden Zerstörungen bilden seit mehreren Jahren eine Art Gegenüber bzw. Nährboden für Hintereggers Arbeit. Sie sind eine Erweiterung der Überlegung, die ihn an der Kunstakademie dazu brachte, mit dunkelblauer Kugelschreibertinte zu experimentieren: Der Wunsch, die schwarz-nasse Oberfläche eines alpinen Moorsees auf die Leinwand zu bringen. Das feuchte Schimmern der Kugelschreibertinte hat er seither in seiner Malerei zur Perfektion getrieben.
Jürgen Tabor
Kunsthistoriker, Autor und Kurator der Sammlung Generali Foundation am Museum der Moderne, Salzburg