Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball -- Five Ways of Telling Time

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Andreas Fogarasi, Donaukanalblick, 2022

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Mariana Castillo Deball, Tonalpohualli Blue, 2017

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Andreas Fogarasi, Light Panel, 2022

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Andreas Fogarasi, Envelop (Grand Socialist Constructions), 2019

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Mariana Castillo Deball, Tonalpohualli Petate, 2017 und Mariana Castillo Deball, Tonalpohualli Green, 2017 

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Andreas Fogarasi, Nine Buildings, Stripped (Arbeiter Schrebergarten Favoriten), 2021

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Mariana Castillo Deball, Coatlicue, 2010

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Andreas Fogarasi, Envelop (Zoltán Nagy: Service Station in Siófok), 2019

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Mariana Castillo Deball, Icosahedron, 2017

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Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball, Five Ways of Telling Time, Ausstellungsansicht, 2022

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Mariana Castillo Deball, Tonalpohuali, 2017

Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball
Five Ways of Telling Time
15/01/2022 - 26/02/2022

Andreas Fogarasi und Mariana Castillo Deball
Five Ways of Telling Time 

Ausstellung: 15. Jänner – 26. Februar 2022

Five Ways of Telling Time präsentiert Skulpturen, Objekte und Videos von Mariana Castillo Deball und Andreas Fogarasi, in denen Prozesse des Zeigens, Aufdeckens, wieder Sichtbarmachens und die Beschäftigung mit Transformationsprozessen und deren sozialen, politischen und historischen Auslösern eine zentrale Rolle spielen. Von unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten ausgehend, treffen sich Fogarasi und Deball in ihrer künstlerischen Praxis an vielen Momenten: Die Ausstellung sucht einen sensiblen Dialog zwischen den Werken und beleuchtet diese Parallelen. Für Mariana Castillo Deball ist es die erste umfassende Präsentation in Österreich.

Während Deballs Ausgangspunkt häufig die Arbeit in und mit archäologischen und anthropologischen Sammlungen ist, sind es bei Fogarasi vor allem die Auseinandersetzung mit Architektur und die Analyse urbaner Transformationsprozesse, die seinen Werken vorausgehen. Beide beginnen mit umfassenden Recherchen und Analysen und überführen diese in formal reduzierte, kodierte und verdichtete Bildsprachen. Zudem bewegen sich beide KünstlerInnen ausgesprochen reflektiert innerhalb des Formenkanons der zeitgenössischen Kunst und adressieren konzeptuelle Strategien ebenso wie post-minimalistische Ansätze in der Skulptur.

Der Dialog der KünstlerInnen wird durch die raumübergreifende Installation Tonalpohualli (2017) von Deball strukturiert, die sich durch die gesamte Galerie zieht und entlang der die BesucherInnen auf die anderen Werke treffen, darunter neue Materialportraits und Werke aus der Serie Envelop von Fogarasi, Arbeiten auf Papier von Deball und zwei Videoarbeiten, die bezeichnend sind für die künstlerische Nähe aber auch die unterschiedlichen Zugänge der beiden.

Eine Stadt wie Wien, die sich seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Nachbarstaaten nach Jahrzehnten der Stagnation rasant verändert, bietet Fogarasi ausreichend Möglichkeiten für das Studium urbaner Transformationsprozesse und der wechselseitigen Auswirkungen von gesellschaftlichen Veränderungen auf die gebaute Umwelt und den öffentlichen Raum. 2019 präsentierte er mit der Serie Nine Buildings Stripped erstmals seine „Materialporträts“: er sicherte Bauteile – Oberflächenverkleidungen – von Häusern, die entweder neu gestaltet oder durch Neubauten ersetzt wurden, verschnürte sie zusammen mit Musterstücken der sie ersetzenden Materialien mit industriellem Verpackungsstahlband zu kompakten Paketen und hing sie als Bilder an die Wand. Sie sind Porträts der Transformation, die wie ein Kippbild zwei Identitäten und auf paradoxe Weise Vergangenheit und Zukunft in sich tragen. Sie sind materiell, dokumentarisch und skulptural in einem. Die neuen, in der Ausstellung präsentierten, Arbeiten sind in der Konzeption freier: Die verschnürten Materialien stellen nicht mehr notwendig ein bestimmtes Gebäude dar, sondern sind vielmehr typologisch zeitübergreifend zusammengestellt. Der teilweise Verzicht auf die konzeptuelle Klammer, ein bestimmtes Gebäude zu repräsentieren, bringt künstlerische Freiheit und betont andere, den hybriden Material-Wandbildern immer schon innewohnende, sinnliche Qualitäten. In diesen Bildern erfährt die Oberfläche eine Art Rehabilitation: sie ist verführerisch und beredt, ihre Farben, Formen und Strukturen verraten Träume und Utopien der Zeit und Geisteshaltung, die sie hervorbrachten. Gleichzeitig erinnern sie an Bilder der frühen Moderne, in der Farbe und Oberfläche erstmals vom Inhalt befreit zum Selbstzweck wurden, oder an die Minimal Art, seit der wir gelernt haben, dass jedes Material seinen Eigenwert besitzt und an ein komplexes Referenzsystem geknüpft ist. Nicht zu vergessen, dass Holz, Stein, Metall, Keramik, Glas und Kunststoffe ihre eigene Entstehungsgeschichte in sich tragen und so verbinden sich in einem verschnürten Paket auch schnell ein paar Millionen Jahre Erdgeschichte.

Eine andere Form der Auseinandersetzung mit Geschichte und Transformationsprozessen stellen die Arbeiten der aus Mexiko stammenden und seit vielen Jahren in Berlin lebenden Künstlerin Deball dar, die sich häufig mit der präkolumbianischen Geschichte und dem Erbe der Hochkulturen Mittelamerikas auseinandersetzt und vor dem Hintergrund gegenwärtiger kritischer Diskurse wie Wissenschaftskritik und Postcolonial Studies verhandelt. 

So setzte sie sich mehrfach mit Bilderhandschriften, sogenannten Codices, der Azteken und Maya auseinander, die sich bis heute zumeist in europäischen Sammlungen befinden. Die skulpturale Installation Tonalpohualli bezieht sich auf den gleichnamigen aztekischen 260-Tage umspannenden Kalender, der in einer quadratischen Zeichnung die Gliederung des aztekischen Jahres aufzeigt. Dabei ist er weit mehr als ein Kalender: Als Abbild der kosmischen Ordnung und der Götterwelt spielte er eine zentrale Rolle bei Ritualen, wurde als Orakel befragt und regulierte alle Lebensbereiche der gesamten Gesellschaft. Deball überträgt das Bild des Codex und das dargestellte Ordnungsprinzip in den Raum, in eine Installation aus 20 industriell gefertigten Aluminiumstreifen mit jeweils 13 Löchern. Die Struktur spiegelt die Einteilung des Kalenders in 20 13-tägige Perioden (Trecena) wieder, die Farben symbolisieren die Himmelsrichtungen. Die Länge der Aluminiumstreifen greift mit 270 cm ein in der aztekischen Architektur und Agrikultur verwendetes Längenmaß auf. Jede Trecena wird von einer anderen Gottheit in Tierform regiert, die als Miniaturen auf den mit Bolzen verbundenen Lochblechstreifen sitzen. Wie Fogarasis Materialbilder ist die Struktur gleichzeitig ihrer Geschichte verhaftet und autonom. Mit der Übersetzung des aztekischen Bildkalenders in eine rational-abstrakte Formensprache schlägt die Künstlerin eine Brücke von einer von Gottheiten und Geistern beseelten Vergangenheit in unsere Gegenwart, von einer präkolonialen in eine postkoloniale Zeit. 

Dass die Götterwelt komplex und vielgestaltig war und sich über die Jahrhunderte auch stark wandelte, kommt in drei in der Ausstellung gezeigten Linolschnitten zum Ausdruck, die sich auf die vielen Darstellungsweisen von Coatlicue, der Göttin der Erde und des Todes, beziehen. Ausgehend von Originalmotiven wandelt Deball diese in zunehmend freiere und abstraktere Formen ab. 

Deballs Interesse an Methoden der Vervielfältigung und des Abdruckens findet sich auch bei Fogarasi, der in seiner Serie Envelop (seit 2019) eine kritische Revision vornimmt: Eingehüllt in gefaltete Kupferbleche werden Kupferstiche aus den 1960er-Jahren aus Ungarn gezeigt, die im damals offiziellen Stil des sozialistischen Realismus staatlich beauftragt und weit verbreitet wurden und heute aus der öffentlichen Sichtbarkeit und Wertschätzung verschwunden sind. Die beiden Serien „Grand Socialist Constructions“ und „Pictures From The Life Of Hungarian Transport And Telecommunication“ zeigen Fogarasis subtiles Spiel zwischen Zeigen und Verbergen aber auch seine Sensibilität im Umgang mit Medien und Materialien: das Kupferblech des Displays erinnert an die Druckplatten der Grafiken.

Im letzten Raum werden abwechselnd zwei Videos auf einem Monitor gezeigt, Nobody was Tomorrow von Deball und a machine for von Fogarasi, beide aus 2007, in denen sie sich auf ganz unterschiedliche Arten mit Kultureinrichtungen (Bibliothek bzw. Kulturhaus) aus der sozialistischen Ära in Ungarn beziehungsweise Serbien auseinandersetzten. 

Schon diese frühe Videoarbeit Fogarasis zeigt sein Interesse an architektonischen Oberflächen, Materialien und Formen, die als obsolet erachtet und ausgemustert wurden sowie an der Neubewertung von Gebäuden und ihren Ideologien. Die Kulturhäuser der sozialistischen Zeit stehen heute vielfach leer und werden als ungeliebte Relikte einer vergangenen Zeit betrachtet. Der Film vermittelt im simplen Akt des Zeigens den fortschrittlichen und sozialutopischen Geist dieser Institutionen, der verloren ging. Dabei ist die Frage nach gemeinschaftlichen Orten für Kultur und Begegnung heute mindestens genauso relevant wie damals.

Anders als Fogarasis lakonischer Dokumentarismus handelt Deballs Film in Form einer dystopischen Science-Fiktion Geschichte – sie spielt nach dem Verschwinden der Menschheit – von der Nationalbibliothek in Belgrad, einem wuchernden Baum im Kulturhaus in der Stadt Cacak (Serbien) sowie der archäologischen Ausgrabung eines römischen Bades ebendort. Im Protagonisten Nobody, einer Alterungsbeschleunigungsmaschine, laufen alle Fäden zusammen.

Five Ways of Telling Time fokussiert auf das den gezeigten Werken innewohnende Verhältnis zu Zeit und stellt sie als Instrumente vor, als fünf (oder mehr) Arten, die Welt zu beschreiben.

 

- Bettina Spörr

 

 

 

Mariana Castillo Deballs Arbeit bewegt sich am Rande von Kunst, Archäologie, Anthropologie und Naturwissenschaften und stützt sich auf umfangreiche Forschungsarbeiten, die nachzeichnen, wie erkenntnistheoretische Systeme interagieren, um unsere gemeinsamen Identitäten und Geschichten in Bezug auf die materielle Welt zu setzen. Mit ihren Installationen, Performances, Skulpturen und Druckgrafiken will Deball einen Diskurs mit Institutionen jenseits der Kunstwelt eröffnen, um herauszufinden, wie die Ordnung und Archivierung historischer Informationen individuelle und kollektive Erfahrungen prägen.

Mariana Castillo Deball (geb. 1975, Mexiko-Stadt) lebt und arbeitet in Berlin. Sie wurde mit dem Prix de Rome (2004), dem Zürcher Kunstpreis (2012) ausgezeichnet und war für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst (2013) nominiert. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Institutionen und Museen ausgestellt, darunter Centre Georges Pompidou, Paris; Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Berlin; Stedelijk Museum, Amsterdam; Museum of Latin American Art (MOLAA), Long Beach; Institute of Contemporary Arts (ICA), London; Museu d'Art Contemporani de Barcelona (MACBA), Barcelona und anderen. Sie hat an zahlreichen Biennalen und wichtigen Ausstellungen teilgenommen, u.a. Documenta 14, Athen; 8. Berlin Biennale; dOCUMENTA 13, Kassel; 54. Biennale von Venedig, Venedig; Manifesta 7, Trentino; 7. Biennale von Shanghai, China, sowie ihre Teilnahme im mexikanischen Pavillon auf der kommenden 59. Biennale in Venedig. 

 

Andreas Fogarasi (geb. 1977, Wien) lebt und arbeitet in Wien. In seinem Werk beschäftigt er sich insbesondere mit dem Akt des Zeigens und der Repräsentation. Er analysiert, wie Orte, Städte, politische Ideen oder historische Ereignisse zu Bildern werden, und hinterfragt die Rolle der Kultur bei Verhalten und Identität, welche durch den Staat kontrolliert werden. Formal von Minimal Art und Konzeptkunst beeinflusst, sind Fogarasis Arbeiten gleichzeitig dokumentarische sowie autonome Skulpturen. Das dokumentarische Element ist bewusst gebrochen und beruht auf einer präzisen Balance zwischen Information und Offenheit. Der skulpturale Aspekt ist stark architektonisch geprägt und bezieht sich oft auf ikonische Wahrzeichen, kommerzielle Präsentationen oder temporäre Formen der Architektur wie Messestände, Bühnenkonstruktionen oder Pavillons.

Andreas Fogarasi wurde 2016 mit dem Otto-Mauer-Preis ausgezeichnet und gewann den Goldenen Löwen für seine Ausstellung im ungarischen Pavillon auf der 52. Biennale von Venedig. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Institutionen gezeigt: Kunsthalle Wien, Wien; Museo Tamayo, Mexico City; Ludwig Museum, Budapest; New Museum, New York; Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf; Muzej suvremene umjetnosti, Zagreb; CAC, Vilnius; Frankfurter Kunstverein, Frankfurt; und Palais de Tokyo, Paris.