Thomas Locher -- suspended

exhibitionview02.jpg
1
exhibitionview03.jpg
2
exhibitionview04.jpg
3
exhibitionview05.jpg
4
exhibitionview07.jpg
5
exhibitionview08.jpg
6
Thomas Locher
suspended
17/09/2010 - 06/11/2010

In seiner vierten Einzelpräsentation und erstmalig in der Box zeigt Thomas Locher die neue Installation suspended. Die Arbeit ist ein textuelles, topologisches, von der Decke des Ausstellungsraumes herabhängendes Display, eine spatiale, objekthafte Arbeit, eine Arbeit über Platz, Ort und Ortlosigkeit. Mit diesem Objekt knüpft der Künstler an frühere Arbeiten und Ausstellungspräsentationen an, in denen unter anderem auch die Annahme enthalten war, dass Sprache, geschrieben (oder gesprochen), raumgreifende Wirkung und territorialisierende Bedeutung hat. Suspended entspricht formal einem Orientierungs-Modell mit Hin- und Wegweisern, mit Texten und Kommentaren. Mit Vorder- und Rückseiten, mit Schichten und Überlappungen, mit Seitenansichten und Überlagerungen. Die räumliche Struktur ermöglicht es dem Betrachter, die Arbeit von ‚Aussen’ und von ‚Innen’ zu sehen oder zu lesen, sich innerhalb oder ausserhalb der Arbeit aufzuhalten, ja... überhaupt die Frage zu stellen, was Innen und was Aussen ist. Denn die Arbeit selbst versucht der Problematik der Ununterscheidbarkeit von Innen und Aussen des Rechts eine Form zu geben. Insofern ist die Installation eher eine Arrangement der Nicht-Orientierbarkeit.

In Homo Sacer beschreibt G. Agamben den Ort der Ununterscheidbarkeit zwischen Recht und Gewalt, zwischen Gültigkeit und Ausnahme, zwischen Drinnen und Draussen, durch ein räumlich topologisches Modell. Trotz permanenter Anrufung und Beschwörung der Menschenrechte ist ihre Unterdrückung und vor allem ihre Suspendierung (Aufhebung) zu einem geläufigen Verfahren gegenwärtiger Politik geworden. Systematisch werden Menschen verfolgt, vertrieben oder unmenschlich behandelt ohne sich dabei auf Rechte berufen zu können. Seit ihrer grundsätzlichen Formulierung ist der Flüchtling die zentrale Figur der Menschenrechte. Bezeichnet anfänglich als DISPLACED PERSON, ist er von der Willkür eines aufnahmebereiten Landes abhängig geworden, ein permanenter Flüchtling, ohne Anspruch auf  Staatsangehörigkeit oder irgendeine Rechtssicherheit. Der formulierte Anspruch auf ein bestimmtes Recht, Rechte einzuklagen zu können, erweist sich als ‚leer’. Menschenrechte sind Rechte derer, die keine Rechte haben. Die einzigen einklagbaren Rechte gehören den Bürgern von Nationalstaaten mit rechtsstaatlichen Gesellschaften. Menschenrechte erweisen sich daher als paradoxale Rechte, adressiert an arme, nicht-öffentliche und unpolitische Individuen.
Im rechtlichen Format des Ausnahmezustandes, vorgesehen als ein begrenzter Zeitraum in Krisensituationen, findet die politische Praxis der Suspendierung von Grundrechten ihren intensivsten Augenblick. Denn der, der über die legale Macht verfügt, die Geltung des Rechts aufzuheben (beispielsweise den Ausnahmezustand auszurufen), also Recht zu suspendieren, setzt sich damit ebenso ausserhalb des Rechts. Souveräne Macht steht daher ausserhalb und innerhalb des Rechts. In dieser Installation wird versucht, den verschiedenen Widersprüchen und Paradoxien der Menschenrechte eine Form zu geben. Dabei ist die politische Macht der Souveränität in dieser Arbeit nicht präsent. Sie bleibt nicht genannt, sie ist nicht unmittelbar abgebildet, sie ist nicht direkt repräsentiert. Als abwesend agierende Bedrohung bleibt sie jedoch vollkommen real.