Inés Lombardi -- transient stage

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Inés Lombardi
transient stage
27/06/2014 - 20/09/2014

Die Ausstellung Transient Stage der brasilianischen Künstlerin Inés Lombardi spielt mit der Versinnbildlichung eines umfassenden, flüchtigen und zugleich immer neuen Begriffs vom „Jetzt“ - eine Gegenwärtigkeit, welche die Vergangenheit mit einschließt, sich aus ihr speist und doch unergründlich bleibt. So bilden die durch archäologische chromatische Prospektion vom brasilianischen Denkmalamt freigelegten Farbschichten in der Residência Olivo Gomes in Sao Paulo die Grundlage für Lombardis gegenwärtige Auseinandersetzung. Es wurden verschiedene Farbtöne in mehreren übereinanderliegenden Schichten, von welchen die meisten heute nicht mehr sichtbar sind, seit der Errichtung des Hauses im Jahr 1950 im Innen- und Außenbereich der Residenz untersucht und mittels der international gültigen Pantone Farbskala festgehalten. Die Verschiebungen der Farbtöne, die durch Übermalungen im Laufe der Zeit entstanden sind, machen den unaufhaltbaren Prozess einer kontinuierlichen Veränderung sichtbar. Die von Inés Lombardi ausgewählten 54 Pantone Farben aus der stratigraphischen Prospektion erlauben einen Blick auf eine Vergangenheit, welche die Gegenwart einschließt und eine noch unbekannte Zukunft prospektiert.

Im Eingangsbereich der Galerie zeigt Lombardi auf einer Holzkonstruktion, die Bezug nimmt auf eine temporäre Präsentation der brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi für die Sammlung des MASP, zwei großformatige Montagen, die aus je 54 Bilderquadraten bestehen. Auf der ersten Montage sind monochrome Pantone-Farbtafeln zueinander in Beziehung gesetzt, die stellenweise durch Detailaufnahmen aus dem Innen- und Außenraum der Residenz durchbrochen werden. Entsprechend gegengleich zeigt die zweite Montage überwiegend Ansichten aus eben jenem Haus und Garten und mischt stellenweise monochrome Flächen darunter. Die so entstehende Komplementarität der beiden Arbeiten schlägt eine Entsprechung von Farben und Fotografien vor, die vielfältige und hybride Beziehungen zwischen Innen und Außen, Vergangenheit und Gegenwart, Verborgenem und Sichtbarem und zwischen Architektur und Natur evoziert.

Übertragen auf das Räumliche führt Lombardi im Untergeschoß der Galerie die Idee der Komplementarität und die Verschmelzung von Gegensätzen weiter aus. Die als Ganzes, in kräftigem Orange der Fassade beziehungsweise hellem Grün aus der inneren Farbpalette des Hauses gestalteten Räume werden zu eigenständigen Farbobjekten und verdeutlichen die Rolle des Besuchers als gleichzeitiges Subjekt und Objekt der Betrachtung.  Bedingt durch die Wahrnehmung der Farbe und der Bewegung des Betrachters, überträgt sich die Empfindung der Farbe als Gegenfarbe in den angrenzenden Raum und überlagert sich das Innere mit dem Äußeren und umgekehrt. Inés Lombardi lädt also zu einer sensorischen Auseinandersetzung mit den Konzepten von Betrachter, Werk und Raum ein, zu einer Auslotung der Beziehung vom Ich zur Welt als einem Wechselspiel der Wahrnehmung.

Im Hauptraum der Galerie zeigt Lombardi 54 Details von Wänden, Fenstern und Türen aus Glas, vom Innenraum nach Außen und vom Garten ins Haus, die aus Fotografien der Residência Olivo Gomes entnommen wurden und druckt diese jeweils auf eine der 54 monochromen Pantone Farben. Die Dichotomie von Innen und Außen, von Transparenz und Opazität von Vordergrund und Hintergrund löst sich in den Überlagerungen von Bild und Farbfläche auf, indem ihre Grenzen ineinander fließen. Auf eine Linie ringsherum an die Wände gehängt bilden sie ein gemeinsames Ganzes, dessen zusammenhängender Eindruck durch einen subtilen architektonischen Eingriff verstärkt wird – die normalerweise freistehende Wand und die Fenster der Galerie wurden geschlossen. Ein massiver, genau auf die Architektur des Raumes konzipierter Quader bildet sowohl ein skulpturales Element, kann aber zugleich auch als Bank benützt werden. Bewegt sich der Betrachter an der Bildserie vorbei eröffnet sich nicht nur der fast malerische, sinnliche Charakter der Prints sondern stellt sich auch ein fast filmischer Eindruck ein, indem sich die Details Kader für Kader zu einem farbigen Fluss verbinden.

Dies findet seine Entsprechung im letzten Raum der Galerie, in dem Lombardi auf einer am Boden stehenden, schräg zur Wand gelehnten Projektionsfläche ein Video zeigt. Ein Fotodetail der Glasfassade der Residencia Olivo Gomes von Garten aus aufgenommen wurde in Filmkader zerlegt und erzeugt beim Betrachter die Illusion von einer kontinuierlichen, langsamen Bewegung nach unten, die als Bodenreflexion wieder spiegelverkehrt auftaucht. Durch das Ein- und Überblenden von 54 Pantone Farben auf das bewegte Bild stellt sich einerseits ein sanft pulsierender Eindruck ein, macht aber zugleich durch die farbige Veränderung der Bilder auch die Fluidität spürbar, die in Zeit und Raum inhärent ist.

Worauf es Inés Lombardi anzukommen scheint, ist eine Bewusstmachung eines Stückchens Unergründlichkeit: so wie unser Blick durch die Glasscheiben eines geschlossenen Fensters nicht ein sensoriell vollständiges Wahrnehmen der Wirklichkeit erlaubt, sondern nur ein Bild transportiert, bleibt auch die Gegenwärtigkeit nur unvollständig fassbar.

Transient Stage verweist auf eine fundamentale Prämisse in Lombardis Arbeiten, nämlich einem Verständnis von menschlicher Wahrnehmung als einen Prozess konstanter Veränderung, und nutzt den Ausstellungskontext als temporäre Bühne zur Sichtbarmachung dieses Prozesses.

Text:  Julia Löschl