William Engelen -- Faltenrock

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William Engelen
Faltenrock
17/11/2011 - 14/01/2012

„IN SCHLÄFRIGER WOLLUST
Versetze Dich in einen Zustand schläfriger Wollust. Lass diese erotischen,
schwierig zu definierenden Gefühle durch dein Spiel erklingen.
Spiel nicht laut, aber sensibel, finde den Klang, der zu dir passt.
Benütze keine extremen Unterschiede in den Tonhöhen und Volumen,
zeige keine große Expressivität.
Spiele eher nach innen gekehrt.“[1]

Was sich hier ein wenig wie eine Meditationsanleitung oder eine Feldenkrais-Übung liest, ist die detailgenaue verbale Spielanweisung für eines der Fragmente der grafischen Partitur Komponenten des holländischen Künstlers William Engelen. Dreizehn verschiedene Fragmente mit so bildhaften Titeln wie „An einem Sonntag Nachmittag“, „Klotzige Cluster“, „Weiss-schattiert“, „Ping Pong“, „Das Gespinst“ oder „Bezahlter Beifallsklatscher“ gibt Engelen in seiner Komposition Komponenten vor. Aber diese Bildhaftigkeit muss in dem Fall gehört werden. Wie sich wohl „Bezahlter Beifallsklatscher“ anhört?

Solche Partituren und ihre musikalische Interpretation bilden zwei Teile der Installation mit dem Titel Faltenrock in der Georg Kargl Box. Als Ausgangsbasis verwendet der Klangkünstler Engelen elf unterschiedliche Faltenröcke, die er zu einem Mobile arrangiert. Die kulturgeschichtliche Assoziation des traditionellen Beinkleids mit Musik und Tanz setzt Engelen zum einen um, indem er die Röcke im Raum frei schwebend „tanzen“ lässt. Zum anderen dienen die Falten der Röcke als Muster für seine Partituren. Unbeschriebene Notenblätter knickt William Engelen im Stil der unterschiedlichen Faltungen der Röcke. Erst dann beginnt er sie zu beschreiben. Nachdem die Partitur fertig ist, faltet er sie wieder auf und es entsteht eine Art Relief mit Leerstellen in den Knicken, wo die Falten waren. Diese Leerstellen werden von den Musikern mit Stille übersetzt, dadurch entsteht ein Klangmuster nach den Faltungen der Röcke. „Der Künstler faltet in dieser Komposition Zeit. Die Räumlichkeit der Partitur bestimmt die Räumlichkeit des Klanges. Klang, Raum und Zeit sind während der Umsetzung durch die Musiker eng verbunden.“[2] Und weil bei William Engelen alles mit allem in Beziehung steht wird die Partitur zum Faltenrock-Mobile durch ein Akkordeon, dessen Resonanzkörper gefaltet ist, und durch eine E-Gitarre, auch Rock-Gitarre genannt, interpretiert.

Engelen verwendet nicht die klassische Notation, sondern erfindet neue grafische Systeme für seine Kompositionen. Die Partituren sind häufig Übersetzungen der alltäglichsten Dinge; so zerlegte Engelen in der Arbeit Jochen seine Zimmerpflanze, eine Monstera – auch Fensterblatt genannt – in ihre strukturalen Einzelteile und generierte aus diesen Elementen das Spielmaterial für einen Saxophonisten.

Die Arbeit Faltenrock bewegt sich wie viele Arbeiten von William Engelen im Spannungsfeld von Musik, bildender Kunst und Performance. Als wäre das Leben ein Wunschkonzert nimmt der Künstler die banalsten Versatzstücke des Alltags wie Schokoladenriegel, Wassertropfen, Zimmerpflanzen, Magenknurren, Wetterlagen, als Ausgangspunkte für seine Kompositionen.

Sein künstlerisches Interesse liegt oft in der Erforschung des sozialen Raums und dessen Darstellung. Töne, Sprache und aufgezeichnete Geräusche bilden die Grundlage, um reale Räume abzubilden und auf andere Weise hörbar zu machen. Seine Arbeit ist investigativ und “menschenverbunden”. Humor spielt eine zentrale Rolle, er blickt hinter die Dinge – auf ihre Geschichte oder Geschichten. In „Fräulein Grosch“ zitiert er aus dem kollektiven Gedächtnis, indem er verschiedene Leute zur jugendlichen Klavierstunde befragt, die in der europäischen Mittelschicht zum guten Ton einer jeden Erziehung gehört. Bei den persönlichen Erfahrungen mit dem Klavierlehrer / der Klavierlehrerin fallen Sätze wie: „Fräulein Grosch war ein spätes Mädchen, das heißt, sie hatte keinen abgekriegt, musste allein leben und viel (Klavier) üben...“, oder „Meine Klavierlehrerin war eine großartige Frau. Sie ist mittlerweile über achtzig. Es war ein Glück, dass ich schon Klavier spielen konnte, denn sie konnte es nicht...“. Er zeichnet diese Geschichten auf und kombiniert sie mit Fotos von häuslichen Wohnsituationen mit Klavier. Diese ausschnitthaften, persönlichen Erinnerungen an die Klavierstunde formiert Engelen zu einem gemeinsamen Hör- und Seh-Erlebnis.

Immer auf der Suche nach neuen Wegen der Klangerzeugung ist William Engelen tief verwurzelt im Feld der neuen und experimentellen Musik. Die Besonderheit bei Engelen findet sich in der konkreten, oft alltäglichen und für jeden nachvollziehbaren Grundlage seiner Kompositionen.

Text: Marie Duhnkrack

 

[1] Aus: Komponenten für Akkordeon solo, Music Box, Katalog zur Ausstellung im Haus am Waldsee, S. 60., 2011

[2] Katja Blomberg, Zeit, Music Box, Katalog zur Ausstellung im Haus am Waldsee, S. 29, 2011